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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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den Knaben, lasse ihn bei mir, ich will ihn lehren, ich will ihn erziehen.‹
    ›O mein Gustav‹, rief sie mit den schmerzlichsten Tönen der Rührung, ›wie wahr ist mein Gefühl, das mich an dich, den besten der Menschen, wies, als ich ein Kind war, und das mich nicht verlassen hatte, so lange ich lebte.‹
    Sie war aufgestanden, hatte ihr Haupt auf meine Schulter gelegt, und weinte auf das innigste. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, meine Tränen flossen unaufhaltsam, ich schlang meine Arme um sie und drückte sie an mein Herz. Und ich weiß nicht, ob je der heiße Kuß der Jugendliebe tiefer in die Seele gedrungen und zu größrer Höhe erhebend gewesen ist als dieses verspätete Umfassen der alten Leute, in denen zwei Herzen zitterten, die von der tiefsten Liebe überquollen. Was im Menschen rein und herrlich ist, bleibt unverwüstlich, und ist ein Kleinod in allen Zeiten.
    Als wir uns getrennt hatten, geleitete ich sie zu ihrem Sitze, nahm den meinigen wieder ein und fragte: ›Hast du noch andere Kinder?‹
    ›Ein Mädchen, welches mehrere Jahre älter ist als der Knabe‹, erwiderte sie, ›ich werde dir dasselbe auch bringen, es hat ebenfalls die schwarzen Augen und die braunen Haare wie ich. Das Mädchen behalte ich, den Knaben lasse, weil du so gütig bist, um dich leben, so lange du willst. Er möge werden wie du. O ich hatte kaum geahnt, wie hier alles werden wird.‹
    ›Mathilde, beruhige dich jetzt‹, sagte ich, ›ich werde den Knaben holen, wir werden mit ihm freundlich sprechen.‹ Ich tat es, trat mit dem Knaben an der Hand herein, und wir sprachen mit dem Kinde und abwechselnd unter uns noch eine geraume Weile. Ich zeigte Mathilden hierauf das Haus, den Garten, den Meierhof und alles andere. Gegend Abend fuhr sie wieder fort, um in Rohrberg zu übernachten. Den Knaben sollte sie der Verabredung gemäß wieder mit sich nehmen, ihn ausrüsten und vorbereiten, und ihn, wie sie es für gelegen halte, bringen. Wir blieben von dem Augenblicke an in Briefwechsel, und als eine Zeit vergangen war, brachte sie mir Gustav, der noch bei mir ist, sie brachte mir auch Natalien, die damals im ersten Aufblühen begriffen war. Eine größere Gleichheit als zwischen diesem Kinde und dem Kinde Mathilde kann nicht mehr gedacht werden. Ich erschrak, als ich das Mädchen sah. Ob in den Jahren, in denen jetzt Natalie ist, Mathilde auch ihr gleich gewesen ist, kann ich nicht sagen; denn da war ich von Mathilden schon getrennt.
    Es begann nun eine sehr liebliche Zeit. Mathilde kam mit Natalien öfter, um uns zu besuchen. Ich machte ihr in den ersten Tagen den Vorschlag, daß ich die Rosen, wenn sie ihr schmerzliche Erinnerungen weckten, von dem Hause entfernen wolle. Sie ließ es aber nicht zu, sie sagte, sie seien ihr das Teuerste geworden und bilden den Schmuck dieses Hauses. Sie hatte sich zu einer solchen Milde und Ruhe gestimmt, wie Ihr sie jetzt kennt, und diese Lage ihres Wesens befestigte sich immer mehr, je mehr sich ihre äußeren Verhältnisse einer Gleichmäßigkeit zuneigten, und je mehr ihr Inneres, ich darf es wohl sagen, sich beglückt fühlte. Ein freundlicher Verkehr hatte sich entwickelt, Gustav hatte sich an mich gewöhnt, ich an ihn, und aus der Gewöhnung war Liebe entstanden. Mathilde gab Rat in meinem Hauswesen, ich in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Nataliens Erziehung wurde oft zwischen uns besprochen, und Schritte getan, die wir verabredet hatten. Und in der gegenseitigen Hilfeleistung stärkte sich die Neigung, die wir gegen einander hatten, die nie verschwunden war, die sich zu einem edlen, tiefen, freundlichen Gefühle gebildet hatte, und die nun offen und rechtmäßig bestehen konnte. Ich hatte wieder jemanden, den ich zu lieben vermochte, und Mathilde konnte ihr Herz, das mir immer gehört hatte, unumwunden an mein Wohl und an mein Wesen wenden. Nach einer Zeit wurde der Sternenhof verkäuflich. Ich schlug Mathilden den Kauf vor. Sie besah das Gut. Seiner Nachbarschaft mit mir willen und schon seiner Linden willen, die sie an die großen Bäume auf dem Rasenplatze vor dem Hause in Heinbach erinnerten, war sie zu dem Kaufe geneigt. Auch hatte der Sternenhof überhaupt große Ähnlichkeit mit dem Hause in Heinbach, war an sich eine sehr angenehme Besitzung, und gab Mathilden für den Rest ihres Lebens einen festen Punkt und einige Abrundung ihrer Verhältnisse. Also wurde er erworben. Um dieselbe Zeit ließ ich in meinem Hause die Wohnung für Mathilden und Natalien

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