Werke
seid.«
Der Greis errötete bei diesen Worten, er errötete so tief und zugleich so schon, wie ich es nie an ihm gesehen hatte.
»Die Zeit war vorüber,« antwortete er, »das Verhältnis wäre nicht mehr so schön gewesen, und Mathilde hat es auch wohl nie gewünscht.«
Er war schon früher aufgestanden, jetzt reichte er mir die Hand, drückte die meine herzlich, und verließ das Zimmer.
Ich blieb eine geraume Weile stehen, und suchte meine Gedanken zur Sammlung zu bringen. Das wäre mir nie zu Sinne gekommen, als ich zum ersten Male zu diesem Hause heraufstieg und des andern Tages seinen Inhalt: sah, daß alles so kommen würde, wie es kam, und daß das alles zu meinem Eigentume bestimmt sei. Auch begriff ich jetzt, weshalb er meistens, wenn er von seinem Besitze sprach, das Wort ›unser‹ gebrauchte. Er bezog es schon auf Mathilden und ihre Kinder.
Nachdem ich noch eine Zeit in meiner Wohnung verweilt hatte, verließ ich sie, um in frischer Luft einen Spaziergang zu machen und noch das Gehörte in mir ausklingen zu lassen.
5. Der Abschluß
Am nächsten Tage ging ich im Laufe des Vormittages zu einer Stunde, an welcher ich meinen Gastfreund weniger beschäftigt wußte, in gewähltem Anzuge in seine Stube, und dankte ihm innig für das Vertrauen, welches er mir geschenkt habe, und für die Achtung, welche er mir dadurch erweise, daß er mich würdig erachte, Nataliens Gatte zu werden.
»Was das Vertrauen anbelangt,« erwiderte er, »so ist es natürlich, daß man nicht jeden, der uns ferne steht, in unsere innersten Angelegenheiten einweiht; aber eben so natürlich ist es, daß derjenige, der für die Zukunft einen Teil, ich möchte sagen, unserer Familie ausmachen wird, auch alles wisse, was diese Familie betrifft. Ich habe Euch das Wesentlichste gesagt, einzelne kleine Umstände, die der Vorstellungskraft nicht immer gegenwärtig sind, ändern wohl an der Sachlage nichts. Was die Hochachtung anbelangt, die darin liegt, daß ich Euch zu Nataliens Gatten geeignet erachte, so habt Ihr vor allen Männern dieser Erde den unermeßlichen Vorzug, daß Euch Natalie liebt, und Euch und keinen andern will; aber auch trotz dieses Vorzuges würden Mathilde und ich, dem man hierin ein Recht eingeräumt hat, nie eingewilligt haben, wenn uns Euer Wesen nicht die Zuversicht eingeflößt hätte, daß da ein dauernd glückliches Familienband geknüpft werden könne. Was die Hochachtung anbelangt, die ich Euch, abgesehen von dieser Angelegenheit, schuldig bin, so habe ich meiner Meinung nach Euch die Beweise derselben gegeben. Wenn ich auch gedacht habe, Ihr dürftet Nataliens künftiger Gatte sein, so war der Eintritt dieses Ereignisses so unbestimmt, da es ja auf die Entstehung einer gegenseitigen Neigung ankam, daß der Gedanke daran auf mein Benehmen gegen Euch keinen Einfluß haben konnte, ja im Verlaufe der Zeiten war der Gedanke erst der Sohn meiner Meinung von Euch.«
»Ihr habt mir wirklich so viele Beweise Eures Wohlwollens und Eurer Schonung gegeben,« antwortete ich, »daß ich gar nicht weiß, wie ich sie verdiene; denn Vorzüge von was immer für einer Art sind gar nicht an mir.«
»Das Urteil über den Grund, woraus Achtung und Neigung oder Mißachtung und Abneigung entsteht, muß immer andern überlassen werden; denn wenn man zuletzt auch annähernd weiß, was man in einem Fache geleistet hat, wenn man sich auch seines guten Willens im Wandel bewußt ist, so kennt man doch alle Abschattungen seines Wesens nicht, in wie ferne sie gegen andere gerichtet sind, man kennt sie nur in der Richtung gegen sich selbst, und beide Richtungen sind sehr verschieden. Übrigens, mein lieber Sohn, wenn es auch ganz in der Ordnung ist, daß man in der Gesellschaft der Menschen einen gewissen Anstand und Abstand in Kleidern und sonstigem Benehmen zeigt, so wäre es in der eigenen Familie eine Last. Komme also in Zukunft in deinen Alltagsgewändern zu mir. Und wenn ich auch kein Verwandter deiner Braut bin, so betrachte mich als einen solchen, wie etwa als ihren Pflegevater. Es wird schon alles recht werden, es wird schon alles gut werden.«
Er hatte bei diesen Worten die Hand auf mein Haupt gelegt, sah mich an, und in seinen Augen standen Tränen.
Ich hatte nie im Verkehre mit mir die Augen dieses Greises naß werden gesehen; ich war daher sehr erschüttert, und sagte: »So erlaubt mir, daß ich in dieser ernsten Stunde auch meinen Dank für das ausspreche, was ich in diesem Hause geworden bin; denn wenn ich irgend etwas
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