Werke
Ferne weht, und mitten drinnen der glänzende Faden der Pernitz – alles bekannt und vertraut, eine holde Gegenwart, herumliegend um die unklare Vergangenheit, auf der sie standen. Von der Häusergruppe der grünen Fichtau war nichts ersichtlich, nur der Felsengipfel des Grahns blickte rötlich blau und schwach durch die dicke Luft herüber, und Heinrichs Auge haftete gerne und mit Rührung auf ihm, als einem Denkzeichen des lieben, sanften Herzens, das an seinem Fuße schlägt und vielleicht in dieser Minute an den fernen teuern Freund denkt.
Die Männer sprachen nur wenige Worte, indem sie ihr Vergnügen ausdrückten und sich die verschiedenen Berggestalten zeigten und erklärten, während der Alte noch immer stumm und unbeweglich hinter ihnen stand – nur die auf dieser Höhe ziehende Mittagsluft regte die dünne, graue Locke seiner Schläfe; denn er hatte sein Barett, von beiden unbemerkt, noch immer in den Händen.
Sie hätten wohl zu andern Zeiten länger das heitere Bild zu ihren Füßen betrachtet, aber heute zog sie ihre nächste Umgebung unmittelbar an. Heinrich schlug vor, gleich die neuen Gebäude aufschließen zu lassen, da sie einmal in der Nähe seien, aber Robert zeigte ihm, daß dies unmöglich sei; denn Graf Christoph hatte, da er in den afrikanischen Krieg geritten, vorher alle Tore versiegelt, mit dem Befehle, daß vor seiner Zurückkunft nichts berührt werden dürfe, im Falle seines Todes aber der neue Besitzer erst am Tage seines Antrittes die Gebäude öffnen möge. Da hingen nun hinter allen den großen Spiegelfenstern des Hauses ruhig und schwer die grünseidnen Vorhänge nieder und regten keine Falte hinter dem glatten, glänzenden Glase. An Türen und Toren waren die Siegel, ebenfalls grün, sehr groß und mit dem Scharnastschen Wappen versehen. Von dem Dache hatte der Wind den einen und andern Ziegel heraus genommen, worauf bald mehrere oder wenigere Nachbarn folgten, so daß an manchen Stellen die nackten Sparren und Latten ungastlich und lächerlich in die Luft hinausstarrten. Der alte Mann sah das alles mit ruhigen und heitern Blicken an, als wäre es in der schönsten Ordnung. Der Kiesplatz vor dem großen Tore war von altem Regen zerwaschen, keine Spur von Rädern oder Hufen, und überall zwischen den Quarzkörnern sproßte zartes Gras hervor.
»Und wie lange ist dein letzter Herr schon weg?« fragte Robert.
»Nach der großen Krankheit – – –« begann langsam, schüchtern und mißtrauisch der alte Mann, indem er sich näherte – – aber Robert unterbrach ihn und sagte: »So setze doch dein Barett auf.«
»Ja, die Sonne ist heiß,« erwiderte Ruprecht, »sie ist heiß, ich habe es vergessen – und eine Pelzhaube ist gegen sie so gut, wie gegen den Winter.«
Und wirklich sahen die Freunde, daß sein Barett, das er bisher immer in den Händen gehalten hatte, trotz des heißen Sommertages eine Pelzhaube war.
»Nun wie lange«, sagte Robert wieder, »ist dies Haus da herrenlos?«
»Nach der großen Krankheit,« fuhr der Greis fort, »die draußen im Lande war – – nein, es war ja vor der Krankheit, und Narcissa starb an ihr, weil sie sich so kränkte; aber eigentlich hieß sie gar nicht Narcissa, sondern Tiburtia, aber weil sie so hoch gewachsen war, weil sie so zart und schön war, und weil sie den Kopf stets ein klein wenig gesenkt trug, so hat er sie immer Narcissa genannt – – Der Herr vergebe ihm, er war sehr stürmischen Gemütes, aber er war auch wieder so fromm wie ein Kind; denn ich selber habe ihn einmal weinen gesehen, daß man meinte, das Herz werde ihm aus dem Leibe springen – und dann ließ er die grünen Vorhänge nieder, siegelte alle Tore zu und ritt davon; denn seht, er war auch trotzig, wie Graf Julius, der ebenfalls fortging und nicht wieder gekommen ist. Er hatte die Tage vorher das Drehtor machen und das große daneben zumauern lassen – und alle Diener und Jäger, und die Hunde und die Pferde – alles flog desselben Tages davon, und er sagte: ›Hüte das Werk, wie den Stern deiner Augen, und halte die Brut ferne, bis ich komme und sie als mein Weib erkenne.‹ Dann habe ich das Werk gehütet, daß nur die Vögel des Himmels herein zu fliegen vermochten. Eine Stille war Euch, Graf Sixtus, eine Stille im Sonnen- und Mondenscheine – und immer fort still, nur daß die Totengeige des Prokopus, die er wieder hatte aufziehen lassen, zuweilen nachts oder tags tönte oder läutete. Dann waren fünf, sechs, acht Jahre, bis die vielen Herren mit
Weitere Kostenlose Bücher