Werke
Stube. Häufig ist sie bloß das einzige Gemach des ersten Geschosses. Die obere Stube ist gewissermaßen das Prunkzimmer. In ihr stehen die schöneren Betten des Hauses, gewöhnlich zwei, in ihr stehen die Schreine mit den schönen Kleidern, in ihr hängen die Scheiben-und Jagdgewehre des Mannes, wenn er dergleichen hat, so wie die Preise, die er im Schießen etwa schon gewonnen, in ihr sind die schöneren Geschirre der Frau, besonders wenn sie Krüge aus Zinn oder etwas aus Porzellan hat, und in ihr sind auch die besseren Bilder des Hauses und sonstige Zierden, zum Beispiel ein schönes Jesukindlein aus Wachs, welches in weißem feinem Flaume liegt. In einer solchen oberen Stube des Hauses eines Landmanus wohnte ich. Das Haus war so weit von der Stadt entfernt, daß ich die Eltern nur ein einziges Mal mit Benutzung des Postwagens besuchen konnte, sie aber gar nie zu mir kamen.
Dieser Aufenthalt brachte Veränderungen in mir hervor.
Weil ich mit den Meinigen nicht zusammen kommen konnte, so lebte die Sehnsucht nach Mitteilung viel stärker in mir, als wenn ich zu Hause gewesen wäre und sie jeden Augenblick hätte befriedigen können. Ich schritt also zu ausführlichen Briefen und Berichten. Ich hatte bisher immer aus Büchern gelernt, deren ich mir bereits eine ziemliche Menge in meine Bücherkästen von meinem Gelde gekauft hatte; aber ich hatte mich nie geübt, etwas selber in größerem Zusammenhange zusammen zu stellen. Jetzt mußte ich es tun, ich tat es gerne, und freute mich, nach und nach die Gabe der Darstellung und Erzählung in mir wachsen zu fühlen. Ich schritt zu immer zusammengesetzteren und geordneteren Schilderungen.
Auch eine andere Veränderung trat ein.
Ich war schon als Knabe ein großer Freund der Wirklichkeit der Dinge gewesen, wie sie sich so in der Schöpfung oder in dem geregelten Gange des menschlichen Lebens darstellte. Dies war oft eine große Unannehmlichkeit für meine Umgebung gewesen. Ich fragte unaufhörlich um die Namen der Dinge, um ihr Herkommen und ihren Gebrauch, und konnte mich nicht beruhigen, wenn die Antwort eine hinausschiebende war. Auch konnte ich es nicht leiden, wenn man einen Gegenstand zu etwas anderem machte, als er war. Besonders kränkte es mich, wenn er, wie ich meinte, durch seine Veränderung schlechter wurde. Es machte mir Kummer, als man einmal einen alten Baum des Gartens fällte und ihn in lauter Klötze zerlegte. Die Klötze waren nun kein Baum mehr, und da sie morsch waren, konnte man keinen Schemel, keinen Tisch, kein Kreuz, kein Pferd daraus schnitzen. Als ich einmal das offene Land kennen gelernt und Fichten und Tannen auf den Bergen stehen gesehen hatte, taten mir jederzeit die Bretter leid, aus denen etwas in unserem Hause verfertigt wurde, weil sie einmal solche Fichten und Tannen gewesen waren. Ich fragte den Vater, wenn wir durch die Stadt gingen, wer die große Kirche des heiligen Stephan gebaut habe, warum sie nur einen Turm habe, warum dieser so spitzig sei, warum die Kirche so schwarz sei, wem dieses oder jenes Haus gehöre, warum es so groß sei, weshalb sich an einem andern Hause immer zwei Fenster neben einander befänden, und in einem weiteren Hause zwei steinerne Männer das Sims des Haustores tragen. Der Vater beantwortete solche Fragen je nach seinem Wissen. Bei einigen äußerte er nur Mutmaßungen, bei anderen sagte er, er wisse es nicht. Wenn wir auf das Land kamen, wollte ich alle Gewächse und Steine kennen, und fragte um die Namen der Landleute und der Hunde. Der Vater pflegte zu sagen, ich müßte einmal ein Beschreiber der Dinge werden, oder ein Künstler, welcher aus Stoffen Gegenstände fertigt, an denen er so Anteil nimmt, oder wenigstens ein Gelehrter, der die Merkmale und Beschaffenheiten der Sachen erforscht.
Diese Eigenschaft nun führte mich, da ich auf dem Lande wohnte, in eine besondere Richtung. Ich legte die Mathematik weg, und widmete mich der Betrachtung meiner Umgebungen. Ich fing an, bei allen Vorkommnissen des Hauses, in dem ich wohnte, zuzusehen. Ich lernte nach und nach alle Werkzeuge und ihre Bestimmungen kennen. Ich ging mit den Arbeitern auf die Felder, auf die Wiesen und in die Wälder, und arbeitete gelegentlich selber mit. Ich lernte in kurzer Zeit auf diese Weise die Behandlung und Gewinnung aller Bodenerzeugnisse des Landstriches, auf dem ich wohnte, kennen. Auch ihre erste ländliche Verarbeitung zu Kunsterzeugnissen suchte ich in Erfahrung zu bringen. Ich lernte die Bereitung des Weines aus
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