Werke
Bürger; sie tadelt alle seine Gebräuche; sie widerspricht in allen seinem Geschmacke, und sagt ihm sehr harte, nicht selten sehr beleidigende Dinge. Vielleicht zwar hätte sie das alles sagen können; wenn sie es nur mit gemessenern Ausdrücken gesagt hätte. Aber wer kann es aushalten, den großen Solimann von einer jungen Landstreicherin so hofmeistern zu hören? Er soll sogar die Kunst zu regieren von ihr lernen. Der Zug mit dem verschmähten Schnupftuche ist hart; und der mit der weggeworfenen Tabakspfeife ganz unerträglich.«
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Fünf und dreißigstes Stück
Den 28sten August, 1767
Der letztere Zug, muß man wissen, gehört dem Favart ganz allein; Marmontel hat sich ihn nicht erlaubt. Auch ist der erstere bei diesem feiner, als bei jenem. Denn beim Favart gibt Roxelane das Tuch, welches der Sultan ihr gegeben, weg; sie scheinet es der Delia lieber zu gönnen, als sich selbst; sie scheinet es zu verschmähen: das ist Beleidigung. Beim Marmontel hingegen läßt sich Roxelane das Tuch von dem Sultan geben, und gibt es der Delia in seinem Namen; sie beuget damit einer Gunstbezeigung nur vor, die sie selbst noch nicht anzunehmen Willens ist, und das mit der uneigennützigsten, gutherzigsten Miene: der Sultan kann sich über nichts beschweren, als daß sie seine Gesinnungen so schlecht errät, oder nicht besser erraten will.
Ohne Zweifel glaubte Favart durch dergleichen Überladungen das Spiel der Roxelane noch lebhafter zu machen; die Anlage zu Impertinenzen sahe er einmal gemacht, und eine mehr oder weniger konnte ihm nichts verschlagen, besonders wenn er die Wendung in Gedanken hatte, die er am Ende mit dieser Person nehmen wollte. Denn ohngeachtet, daß seine Roxelane noch unbedachtsamere Streiche macht, noch plumpern Mutwillen treibet, so hat er sie dennoch zu einem bessern und edlern Charakter zu machen gewußt, als wir in Marmontels Roxelane erkennen. Und wie das? warum das?
Eben auf diese Veränderung wollte ich oben (20) kommen; und mich dünkt, sie ist so glücklich und vorteilhaft, daß sie von den Franzosen bemerkt und ihrem Urheber angerechnet zu werden verdient hätte.
Marmontels Roxelane ist wirklich, was sie scheinet, ein kleines närrisches, vermessenes Ding, dessen Glück es ist, daß der Sultan Geschmack an ihm gefunden, und das die Kunst versteht, diesen Geschmack durch Hunger immer gieriger zu machen, und ihn nicht eher zu befriedigen, als bis sie ihren Zweck erreicht hat. Hinter Favarts Roxelane hingegen steckt mehr, sie scheinet die kecke Buhlerin mehr gespielt zu haben, als zu sein, durch ihre Dreistigkeiten den Sultan mehr auf die Probe gestellt, als seine Schwäche gemißbraucht zu haben. Denn kaum hat sie den Sultan dahin gebracht, wo sie ihn haben will, kaum erkennt sie, daß seine Liebe ohne Grenzen ist, als sie gleichsam die Larve abnimmt, und ihm eine Erklärung tut, die zwar ein wenig unvorbereitet kömmt, aber ein Licht auf ihre vorige Aufführung wirft, durch welches wir ganz mit ihr ausgesöhnet werden. »Nun kenn ich dich, Sultan; ich habe deine Seele, bis in ihre geheimste Triebfedern, erforscht; es ist eine edle, große Seele, ganz den Empfindungen der Ehre offen. So viel Tugend entzückt mich! Aber lerne nun auch, mich kennen. Ich liebe dich, Solimann; ich muß dich wohl lieben! Nimm alle deine Rechte, nimm meine Freiheit zurück; sei mein Sultan, mein Held, mein Gebieter! Ich würde dir sonst sehr eitel, sehr ungerecht scheinen müssen. Nein, tue nichts, als was dich dein Gesetz zu tun berechtiget. Es gibt Vorurteile, denen man Achtung schuldig ist. Ich verlange einen Liebhaber, der meinetwegen nicht erröten darf; sieh hier in Roxelanen – nichts, als deine untertänige Sklavin. (21) « So sagt sie, und uns wird auf einmal ganz anders; die Coquette verschwindet, und ein liebes, eben so vernünftiges als drolligtes Mädchen steht vor uns; Solimann höret auf, uns verächtlich zu scheinen, denn diese bessere Roxelane ist seiner Liebe würdig; wir fangen sogar in dem Augenblicke an zu fürchten, er möchte die nicht genug lieben, die er uns zuvor viel zu sehr zu lieben schien, er möchte sie bei ihrem Worte fassen, der Liebhaber möchte den Despoten wieder annehmen, sobald sich die Liebhaberin in die Sklavin schickt, eine kalte Danksagung, daß sie ihn noch zu rechter Zeit von einem so bedenklichen Schritte zurück halten wollen, möchte anstatt einer feurigen Bestätigung seines Entschlusses erfolgen, das gute Kind möchte durch ihre Großmut wieder auf einmal
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