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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Charaktere nicht von Anfang ändern konnte, ohne sich eine Menge Theaterspiele zu verderben, die er so vollkommen nach dem Geschmacke seines Parterrs zu sein urteilte, so blieb ihm nichts zu tun übrig, als was er tat. Nun freuen wir uns, uns an nichts vergnügt zu haben, was wir nicht auch hochachten könnten; und zugleich befriediget diese Hochachtung unsere Neugierde und Besorgnis wegen der Zukunft. Denn da die Illusion des Drama weit stärker ist, als einer bloßen Erzählung, so interessieren uns auch die Personen in jenem weit mehr, als in dieser, und wir begnügen uns nicht, ihr Schicksal bloß für den gegenwärtigen Augenblick entschieden zu sehen, sondern wir wollen uns auf immer desfalls zufrieden gestellet wissen.
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Sechs und dreißigstes Stück
    Den 1sten September, 1767
    So unstreitig wir aber, ohne die glückliche Wendung, welche Favart am Ende dem Charakter der Roxelane gibt, ihre darauf folgende Krönung nicht anders als mit Spott und Verachtung, nicht anders als den lächerlichen Triumph einer Serva Padrona, würden betrachtet haben; so gewiß, ohne sie, der Kaiser in unsern Augen nichts als ein kläglicher Pimpinello, und die neue Kaiserin nichts als eine häßliche, verschmitzte Serbinette gewesen wäre, von der wir voraus gesehen hätten, daß sie nun bald dem armen Sultan, Pimpinello dem Zweiten, noch ganz anders mitspielen werde: so leicht und natürlich dünkt uns doch auch diese Wendung selbst; und wir müssen uns wundern, daß sie, dem ohngeachtet, so manchem Dichter nicht beigefallen, und so manche drollige und dem Ansehen nach wirklich komische Erzählung, in der dramatischen Form darüber verunglücken müssen.
    Zum Exempel, die Matrone von Ephesus. Man kennt dieses beißende Märchen, und es ist unstreitig die bitterste Satyre, die jemals gegen den weiblichen Leichtsinn gemacht worden. Man hat es dem Petron tausendmal nach erzählt; und da es selbst in der schlechtesten Kopie noch immer gefiel, so glaubte man, daß es ein eben so glücklicher Stoff auch für das Theater sein müsse. Houdar de la Motte, und andere, machten den Versuch; aber ich berufe mich auf jedes feinere Gefühl, wie dieser Versuch ausgefallen. Der Charakter der Matrone, der in der Erzählung ein nicht unangenehmes höhnisches Lächeln über die Vermessenheit der ehelichen Liebe erweckt, wird in dem Drama ekel und gräßlich. Wir finden hier die Überredungen, deren sich der Soldat gegen sie bedienet, bei weitem nicht so fein und dringend und siegend, als wir sie uns dort vorstellen. Dort bilden wir uns ein empfindliches Weibchen ein, dem es mit seinem Schmerze wirklich Ernst ist, das aber den Versuchungen und ihrem Temperamente unterliegt; ihre Schwäche dünkt uns die Schwäche des ganzen Geschlechts zu sein; wir fassen also keinen besondern Haß gegen sie; was sie tut, glauben wir, würde ungefähr jede Frau getan haben; selbst ihren Einfall, den lebendigen Liebhaber vermittelst des toten Mannes zu retten, glauben wir ihr, des Sinnreichen und der Besonnenheit wegen, verzeihen zu müssen; oder vielmehr eben das Sinnreiche dieses Einfalls bringt uns auf die Vermutung, daß er wohl auch nur ein bloßer Zusatz des hämischen Erzählers sei, der sein Märchen gern mit einer recht giftigen Spitze schließen wollen. Aber in dem Drama findet diese Vermutung nicht Statt; was wir dort nur hören, daß es geschehen sei, sehen wir hier wirklich geschehen; woran wir dort noch zweifeln können, davon überzeugt uns unser eigener Sinn hier zu unwidersprechlich; bei der bloßen Möglichkeit ergötzte uns das Sinnreiche der Tat, bei ihrer Wirklichkeit sehen wir bloß ihre Schwärze; der Einfall vergnügte unsern Witz, aber die Ausführung des Einfalls empört unsere ganze Empfindlichkeit; wir wenden der Bühne den Rücken, und sagen mit dem Lykas beim Petron, auch ohne uns in dem besondern Falle des Lykas zu befinden: Si justus Imperator fuisset, debuit patrisfamiliae corpus in monimentum referre, mulierem adfigere cruci. Und diese Strafe scheinet sei uns um so viel mehr zu verdienen, je weniger Kunst der Dichter bei ihrer Verführung angewendet; denn wir verdammen sodann in ihr nicht das schwache Weib überhaupt, sondern ein vorzüglich leichtsinniges, lüderliches Weibsstück insbesondere. – Kurz, die petronische Fabel glücklich auf das Theater zu bringen, müßte sie den nämlichen Ausgang behalten, und auch nicht behalten; müßte die Matrone so weit gehen, und auch nicht so weit gehen. – Die Erklärung hierüber

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