Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
Vom Netzwerk:
ich sehe auch nichts, woraus es sich ungefähr abnehmen ließe. Das ist klar, daß sein Verfasser weder die französischen und englischen Dichter, welche die nämliche Geschichte bearbeitet haben, gebraucht hat, noch von ihnen gebraucht worden. Er ist ganz original. Doch ich will dem Urteile meiner Leser nicht vorgreifen.
    Essex kömmt von seiner Expedition wider die Spanier zurück, und will der Königin in London Bericht davon abstatten. Wie er anlangt, hört er, daß sie sich zwei Meilen von der Stadt auf dem Landgute einer ihrer Hofdamen, Namens Blanca, befinde. Diese Blanca ist die Geliebte des Grafen, und auf diesem Landgute hat er, noch bei Lebszeiten ihres Vaters, viele heimliche Zusammenkünfte mit ihr gehabt. Sogleich begibt er sich dahin, und bedient sich des Schlüssels, den er noch von der Gartentüre bewahret, durch die er ehedem zu ihr gekommen. Es ist natürlich, daß er sich seiner Geliebten eher zeigen will, als der Königin. Als er durch den Garten nach ihren Zimmern schleichet, wird er, an dem schattichten Ufer eines durch denselben geleiteten Armes der Themse, ein Frauenzimmer gewahr, (es ist ein schwüler Sommerabend,) das mit den bloßen Füßen in dem Wasser sitzt, und sich abkühlet. Er bleibt voller Verwunderung über ihre Schönheit stehen, ob sie schon das Gesicht mit einer halben Maske bedeckt hat, um nicht erkannt zu werden. (Diese Schönheit, wie billig, wird weitläuftig beschrieben, und besonders werden über die allerliebsten weißen Füße in dem klaren Wasser, sehr spitzfindige Dinge gesagt. Nicht genug, daß der entzückte Graf zwei kristallene Säulen in einem fließenden Kristalle stehen sieht; er weiß vor Erstaunen nicht, ob das Wasser der Kristall ihrer Füße ist, welcher in Fluß geraten, oder ob ihre Füße der Kristall des Wassers sind, der sich in diese Form kondensiert hat. (67) ) Noch verwirrter macht ihn die halbe schwarze Maske auf dem weißen Gesichte: er kann nicht begreifen, in welcher Absicht die Natur ein so göttliches Monstrum gebildet, und auf seinem Gesichte so schwarzen Basalt mit so glänzendem Helfenbeine gepaaret habe; ob mehr zur Bewunderung, oder mehr zur Verspottung? (68) Kaum hat sich das Frauenzimmer wieder angekleidet, als, unter der Ausrufung: Stirb Tyrannin! ein Schuß auf sie geschieht, und gleich darauf zwei maskierte Männer mit bloßem Degen auf sie los gehen, weil der Schuß sie nicht getroffen zu haben scheinet. Essex besinnt sich nicht lange, ihr zu Hülfe zu eilen. Er greift die Mörder an, und sie entfliehen. Er will ihnen nach; aber die Dame ruft ihn zurück, und bittet ihn, sein Leben nicht in Gefahr zu setzen. Sie sieht, daß er verwundet ist, knüpft ihre Schärpe los, und gibt sie ihm, sich die Wunde damit zu verbinden. Zugleich, sagt sie, soll diese Schärpe dienen, mich Euch zu seiner Zeit zu erkennen zu geben; itzt muß ich mich entfernen, ehe über den Schuß mehr Lärmen entsteht; ich möchte nicht gern, daß die Königin den Zufall erführe, und ich beschwöre Euch daher um Eure Verschwiegenheit. Sie geht, und Essex bleibt voller Erstaunen über diese sonderbare Begebenheit, über die er mit seinem Bedienten, Namens Cosme, allerlei Betrachtungen anstellt. Dieser Cosme ist die lustige Person des Stücks; er war vor dem Garten geblieben, als sein Herr hereingegangen, und hatte den Schuß zwar gehört, aber ihm doch nicht zu Hülfe kommen dürfen. Die Furcht hielt an der Türe Schildwache, und versperrte ihm den Eingang. Furchtsam ist Cosme für viere; (69) und das sind die spanischen Narren gemeiniglich alle. Essex bekennt, daß er sich unfehlbar in die schöne Unbekannte verliebt haben würde, wenn Blanca nicht schon so völlig Besitz von seinem Herzen genommen hätte, daß sie durchaus keiner andern Leidenschaft darin Raum lasse. Aber, sagt er, wer mag sie wohl gewesen sein? Was dünkt dich, Cosme? – Wer wirds gewesen sein, antwortet Cosme, als des Gärtners Frau, die sich die Beine gewaschen? – (70) Aus diesem Zuge, kann man leicht auf das Übrige schließen. Sie gehen endlich beide wieder fort; es ist zu spät geworden; das Haus könnte über den Schuß in Bewegung geraten sein; Essex getraut sich daher nicht, unbemerkt zur Blanca zu kommen, und verschiebt seinen Besuch auf ein andermal.
    Nun tritt der Herzog von Alanzon auf, mit Flora, der Blanca Kammermädchen. (Die Szene ist noch auf dem Landgute, in einem Zimmer der Blanca; die vorigen Auftritte waren in dem Garten. Es ist des folgenden Tages.) Der König von

Weitere Kostenlose Bücher