Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
war ihr das auch wieder nicht recht: dann hieß es, ihr Essen sei uns wohl nicht gut genug, wir mäkelten, sie gebe eben, was sie habe und begnüge sich selbst damit – vielleicht könnten wir uns selbst etwas Besseres leisten, das könne sie ja nicht wissen, usw., usw. Ueber Papa mußte sie jeden Augenblick etwas Schlechtes sagen, anders ging es nicht. Sie behauptete, er habe immer nobler sein wollen, als alle anderen, und das habe man nun davon: Frau und Tochter könnten nun zusehen,wo sie blieben, und wenn sich nicht unter ihren Verwandten eine christlich liebevolle Seele – das war sie selbst – gefunden hätte, so hätten wir gar noch auf der Straße Hungers sterben können. Und was sie da nicht noch alles vorbrachte! Es war nicht einmal so bitter, wie es widerlich war, sie anzuhören.
Mama weinte jeden Augenblick. Ihr Gesundheitszustand verschlimmerte sich mit jedem Tage, sie welkte sichtbar hin, doch trotzdem arbeiteten wir vom Morgen bis zum Abend. Wir nähten auf Bestellung, was Anna Fedorowna sehr mißfiel. Sie sagte, ihr Haus sei kein Putzgeschäft. Wir aber mußten uns doch Kleider anfertigen und mußten doch etwas verdienen, um auf alle Fälle wenigstens etwas eigenes Geld zu haben. Und so arbeiteten und sparten wir denn immer in der Hoffnung, uns bald irgendwo ein Zimmerchen mieten zu können. Doch die anstrengende Arbeit verschlimmerte den Zustand der Mutter sehr: mit jedem Tage wurde sie schwächer. Die Krankheit untergrub ihr Leben und brachte sie unaufhaltsam dem Grabe näher. Ich sah es, ich fühlte es und konnte doch nicht helfen!
Die Tage vergingen und jeder neue Tag glich dem vorhergegangenen. Wir lebten still für uns, als wären wir gar nicht in der Stadt. Anna Fedorowna beruhigte sich mit der Zeit – beruhigte sich, je mehr sie ihre unbegrenzte Uebermacht einsah und nichts mehr für sie zu fürchten brauchte. Uebrigens hatten wir ihr noch nie in irgend etwas widersprochen. Unser Zimmer war von den drei anderen, die sie bewohnte, durch einen Korridor getrennt, und neben unserem lagnur noch das Zimmer Pokrowskijs, wie ich schon erwähnte. Er unterrichtete Ssascha, lehrte sie Französisch und Deutsch, Geschichte und Geographie – d. h. »alle Wissenschaften«, wie Anna Fedorowna zu sagen pflegte, und dafür brauchte er für Kost und Logis nichts zu zahlen.
Ssascha war ein sehr begabtes Mädchen, doch entsetzlich unartig und lebhaft. Sie war damals erst dreizehn Jahre alt. Schließlich sagte Anna Fedorowna zu Mama, daß es vielleicht ganz gut wäre, wenn ich mit ihr zusammen lernen würde, da ich ja in der Pension den Kursus sowieso nicht beendet hatte. Mama war natürlich sehr froh über diesen Vorschlag, und so wurden wir beide gemeinsam ein ganzes Jahr von Pokrowskij unterrichtet.
Pokrowskij war ein armer, sehr armer Mensch. Seine Gesundheit erlaubte es ihm nicht, regelmäßig die Universität zu besuchen, und so war er eigentlich gar kein richtiger »Student«, wie er aus Gewohnheit noch genannt wurde. Er lebte so still und ruhig in seinem Zimmer, daß wir im Nebenzimmer nichts von ihm hörten. Er sah auch recht eigentümlich aus, bewegte und verbeugte sich so linkisch und sprach so seltsam, daß ich ihn anfangs nicht einmal ansehen konnte, ohne über ihn lachen zu müssen. Ssascha machte immer ihre unartigen Streiche, und das besonders während des Unterrichts. Er aber war zum Ueberfluß auch noch heftig, ärgerte sich beständig, jede Kleinigkeit brachte ihn aus der Haut: er schalt uns, schrie uns an, und sehr oft stand er wütend auf und ging fort, noch bevor die Stunde zu Ende war, und schloß sichwieder in seinem Zimmer ein. Dort aber, in seinem Zimmer, saß er tagelang über den Büchern. Er hatte viele Bücher, und alles so schöne, seltene Exemplare. Er gab noch an ein paar anderen Stellen Stunden und erhielt dafür Geld, doch kaum hatte er welches erhalten, so ging er sogleich hin und kaufte sich wieder Bücher.
Mit der Zeit lernte ich ihn näher kennen. Er war der beste und ehrenwerteste Mensch, der beste von allen, die mir bis dahin im Leben begegnet waren. Mama achtete ihn ebenfalls sehr. Und dann wurde er auch mein treuer Freund und stand mir am nächsten von allen, – natürlich nach Mama.
In der ersten Zeit beteiligte ich mich – obwohl ich doch schon ein großes Mädchen war – an allen Streichen, die Ssascha gegen ihn ausheckte, und bisweilen überlegten wir stundenlang, wie wir ihn wieder necken und seine Geduld auf eine Probe stellen könnten. Es war
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