Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
furchtbar spaßig, wenn er sich ärgerte – und wir wollten unser Vergnügen haben. (Noch jetzt schäme ich mich, wenn ich daran zurückdenke.) Einmal hatten wir ihn so gereizt, daß ihm Tränen in die Augen traten, und da hörte ich deutlich, wie er zwischen den Zähnen halblaut hervorstieß: »Nichts grausamer als Kinder!« Das verwirrte mich: zum erstenmal regte sich in mir so etwas wie Scham und Reue und Mitleid. Ich errötete bis über die Ohren und bat ihn fast unter Tränen, sich zu beruhigen und sich durch unsere dummen Streiche nicht kränken zu lassen, doch er klappte das Buch zu und ging in sein Zimmer, ohne den Unterricht fortzusetzen.
Den ganzen Tag quälte mich die Reue. Der Gedanke, daß wir Kinder ihn durch unsere boshaften Dummheiten bis zu Tränen geärgert hatten, war mir unerträglich. So hatten wir es nur auf seine Tränen abgesehen! So verlangte es uns, uns an seiner sicher krankhaften Gereiztheit auch noch zu weiden! So war es uns nun also doch gelungen, ihn um den Rest von Geduld zu bringen! So hatten wir ihn, diesen unglücklichen, armen Menschen, gezwungen, unter seinem grausamen Los noch mehr zu leiden!
Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen – wie mich die Reue quälte! Man sagt, Reue erleichtere das Herz. Im Gegenteil! Ich weiß nicht, wie es kam, daß sich in meinen Kummer auch Ehrgeiz mischte. Ich wollte nicht, daß er mich für ein Kind halte. Ich war damals bereits fünfzehn Jahre alt.
Von diesem Tage an lebte ich beständig in Plänen, wie ich Pokrowskij veranlassen könnte, seine Meinung über mich zu ändern. Doch an der Ausführung dieser meiner tausend Pläne hinderte mich meine Schüchternheit: ich konnte mich zu nichts entschließen, und so blieb es denn bei den Plänen und Träumereien (und was man nicht alles so zusammenträumt, mein Gott!). Nur beteiligte ich mich hinfort nicht mehr an Ssaschas unartigen Späßen, und auch sie wurde langsam artiger. Das hatte zur Folge, daß er sich nicht mehr über uns ärgerte. Doch das war zu wenig für meinen Ehrgeiz.
Nun einige Worte über den seltsamsten und bemitleidenswertesten Menschen, den ich jemals im Leben kennen gelernt habe. Ich will es deshalb an dieserStelle tun, weil ich mich mit ihm, den ich bis dahin so gut wie gar nicht beachtet hatte, von jenem Tage an aufs lebhafteste in meinen Gedanken zu beschäftigen begann.
Von Zeit zu Zeit erschien bei uns im Hause ein schlecht und unsauber gekleideter, kleiner, grauer Mann, der in seinen Bewegungen unsagbar plump und linkisch war und überhaupt sehr eigentümlich aussah. Auf den ersten Blick konnte man glauben, daß er sich gewissermaßen seiner selbst schäme, daß er für seine Existenz selbst um Entschuldigung bäte. Wenigstens duckte er sich immer irgendwie, oder er versuchte wenigstens immer irgendwie sich zu drücken, sich gleichsam in nichts zu verwandeln, und diese ängstlichen, verschämten, unsicheren Bewegungen und Gebärden erweckten in jedem den Verdacht, daß er nicht ganz bei vollem Verstande sei. Wenn er zu uns kam, blieb er gewöhnlich im Flur hinter der Glastür stehen und wagte nicht, einzutreten. Ging zufällig jemand von uns – ich oder Ssascha – oder jemand von den Dienstboten, die ihm freundlicher gesinnt waren – durch den Korridor und erblickte man ihn dort hinter der Tür, so begann er zu winken und mit Gesten zu sich zu rufen und verschiedene Zeichen zu machen: nickte man ihm dann zu – damit erteilte man ihm die Erlaubnis, und gab ihm zu verstehen, daß keine fremden Leute im Hause waren – oder rief man ihn, dann erst wagte er endlich, leise die Tür zu öffnen und lächelnd einzutreten, worauf er sich froh die Hände rieb und sogleich auf den Zehenspitzen zum Zimmer Pokrowskijs schlich. Dieser Alte war sein Vater.
Später erfuhr ich die Lebensgeschichte dieses Armen. Er war einmal irgendwo Beamter gewesen, hatte aus Mangel an Fähigkeiten eine ganz untergeordnete Stellung bekleidet. Als seine erste Frau (die Mutter des Studenten Pokrowskij) gestorben war, hatte er zum zweitenmal geheiratet, und zwar eine halbe Bäuerin. Von dem Augenblick an war im Hause kein Friede mehr gewesen: die zweite Frau hatte das erste Wort geführt und war mit jedem womöglich handgemein geworden. Ihr Stiefsohn – der Student Pokrowskij, damals noch ein etwa zehnjähriger Knabe – hatte unter ihrem Haß viel zu leiden gehabt, doch zum Glück war es anders gekommen. Der Gutsbesitzer Bükoff, der den Vater, den Beamten Pokrowskij, früher gekannt und ihm
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