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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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13. 7. 2010
    H eute ist mein Geburtstag. Mein fünfzigster. Eigentlich sollte ich feiern, aber als was auch immer man das beschreiben möchte, was um mich herum passiert, eine Feier ist es ganz sicher nicht.
    Ich glaube nicht, dass es einen exakten Punkt gab, an dem man das alles hätte aufhalten können. Vielleicht hätte man die Ereignisse in eine andere Richtung lenken, die Dinge irgendwie begradigen, entschleunigen, beruhigen können. Vielleicht war es aber auch unausweichlich – das, was hier gerade geschieht.
    Es ist müßig, darüber nachzudenken. Im Leben steht ein Ereignis niemals ganz allein für sich. Alles ist irgendwie miteinander verwoben, verknotet, verklebt. Es gibt kein simples »Ja« oder »Nein«, kein klares »Hier lang« oder »Da lang« – das, was manche Leute Schicksal nennen, ist die Summe aus unzähligen Entscheidungen und Unterlassungen.

    Wir haben Angst. Aber es gibt kein Zurück. Auf keinen Fall.
    Alle Kirschkernspucker sind da. Meine besten Freunde. Und noch viele andere Leute, die mir wichtig sind: meine wunderbare Tochter Nele, die verängstigte Peggy und Jörn natürlich, der fast schon selbst ein Kirschkernspucker geworden ist. Außerdem ist die verrückte Anita da, der kauzige Adze, Lucy und ihr Polizist, Florian – und dieser traurige Russe, dem ich eigentlich dankbar sein sollte, der mir aber immer noch nicht ganz geheuer ist. Der Russe ist nicht direkt bei uns. Er steht unten auf der Straße und singt in ein Mikrophon. Seine Stimme hallt laut von den Hauswänden wider. Mehrere Fernsehkameras sind auf ihn gerichtet, unzählige Handys und Fotoapparate blitzen unentwegt.

    Ich wollte für meine Geburtstagsfeier eigentlich eine Kneipe mieten, vielleicht eine Band engagieren, die die ollen Hits spielt. Den Soundtrack meines Lebens, zu dem wir dann alle hätten tanzen können. Stattdessen sind wir hier in dieser Wohnung. Wir sind nervös, aber auch zu allem entschlossen. Ständig klingeln das Telefon und die Handys. Reporter rufen an. Das Blaulicht der Polizeiwagen unten auf der Straße veranstaltet eine Lightshow in den Zimmern.
    Der Russe hat sein Lied beendet. Die Leute applaudieren und johlen und stimmen schon wieder einen Sprechchor an. Ich bin ihnen so dankbar. Sie sind auf unserer Seite. Wir haben uns das nicht ausgesucht. Wir wollen gar nicht hier sein. Aber die Umstände haben uns dazu gezwungen. Es geht schließlich um ein Menschenleben.
    Ich weiß nicht, ob die Welt wirklich immer schlimmer wird, ob die Menschen tatsächlich immer gröber und kaputter werden oder ob es mein Alter ist, das mich die Dinge anders wahrnehmen lässt. In den letzten zehn Jahren habe ich so viel Verwahrlosung bei den Menschen gesehen, so viel alleingelassene Kinder, so viel Kälte, Egoismus und Dummheit, dass ich dazu tendiere, zu glauben, dass die Welt generell den Bach runtergeht. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur ein alter Mann geworden und habe in den Früher-war-alles-besser-Modus geschaltet, den ich bis vor kurzem an alten Männern immer so furchtbar gefunden habe.
    Dabei war es ja weiß Gott nicht nur Schreckliches, das ich in den letzten zehn Jahren erlebt habe. Da war auch Liebe, sehr viel Liebe sogar, und Spaß und herrliches Chaos und viele kleine magische Momente und reichlich Kinderlachen. Und da waren nicht nur einsame und gebrochene Menschen, sondern auch Träumer und Kämpfer und Abenteurer.
    Da war so viel. Und all das ist heute – ausgerechnet an meinem Geburtstag – zusammengekommen. Heute sind sie da. Alle! Und wir riskieren alle verdammt viel für das, woran wir glauben. An das Recht auf Glück.
    Der Russe unten auf der Straße hat mit einem neuen Lied begonnen, doch er singt nur ein paar Takte. Dann ist abrupt Schluss. Irgendjemand hat die Tonanlage ausgeschaltet, die Rückkopplung eines Megaphons quietscht.
    »Hier spricht die Polizei!«, ruft eine knarzige Stimme zu uns hoch. »Dies ist die letzte Warnung. Sie haben fünf Minuten, um …«
    Ich höre nicht hin. In meinen Ohren rauscht es. Ich schaue die Kirschkernspuckerbande an. Dille, Petra, Sven und natürlich Susann. Wir lächeln uns tapfer und nervös zu.
    Wir können jetzt nicht aufgeben. Wir können es einfach nicht!
    Keiner sagt etwas …

2001
    Neun Jahre früher
    D as willst du anziehen?!« Susann musterte mich mit einem halb tadelnden, halb mitleidigen Blick.
    Ich sah an mir herunter. Ich trug meine Lieblingsjeans – die gemütlichen, die in Höhe der Fußknöchel schon etwas ausgefranst waren –,

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