Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Iwan, der zwar auch sehr erschrocken zu sein schien, aber mit einer gewissen stumpfen Feierlichkeit, wie sie dem Ereignis angemessen war, dreinschaute; übrigens – einer nicht gerade festtäglichen Feierlichkeit. Vor dem Hause hielt eine Kutsche, in die stieg zuerst der Soldat ein, dann ich, dann der Pristaw und der Oberstleutnant. Wir fuhren zur Fontanka, zur Kettenbrücke am Sommergarten. Dort gab es ein großes Kommen und Gehen von vielen Menschen. Ich sah eine Reihe von Bekannten. Alle waren verschlafen und schweigsam. Irgend ein Herr, ein Zivilbeamter, doch von hohem Rang, besorgte den Empfang ... ununterbrochen kamen hellblaue Herren mit neuen Opfern herein. – »Da hast du, mein Freund, den Georgstag!« sagte mir jemand ins Ohr. Der 23. April war ja richtig Georgi! Nach und nach umringten wir den hochgestellten Herrn, der eine Liste in der Hand hielt. Auf dieser Liste war vor den Namen Antonelli mit einem Bleistift geschrieben: ›Agent in der aufgedeckten Sache‹.
»Also Antonelli«, dachten wir.
»Man verteilte uns in den Räumen, um uns auseinander zu halten, und wartete auf den endgültigen Bescheid, wo man einen jeden unterbringen sollte. In dem sogenannten weißen Saal befanden sich siebzehn von uns. Da kam Leonti Wassiljewitsch herein.« (Dubbelt, der Untersuchungsrichter.) »Doch hier breche ich lieber ab. Das ist zu lang zum Erzählen. Ich versichere nur noch, daß Leonti Wassiljewitsch ein überaus angenehmer Mensch war.«
Irrtümlicherweise hatte man statt Michail Michailowitsch, der nach Quittierung seines Dienstes nach Petersburg übergesiedelt war, den jüngeren Bruder Andrei, der in Petersburg Architektur studierte, mit verhaftet.
Auch ihn hatten Gendarmen und Polizeileute geweckt und in die Dritte Abteilung Seiner Majestät Privatkanzlei (d. h. auf die Geheimpolizei) gebracht.
Dort fand er im Saal schon ungefähr zwanzig andere vor, – erzählt Andrei Michailowitsch in seinen Aufzeichnungen von diesem Erlebnis und der Haft in der Peter-Paulsfestung. – Sie unterhielten sich laut wie Bekannte unter einander; die einen verlangten Tee, die anderen Kaffee. »Plötzlich sehe ich meinen Bruder Fjodor, der eilig aus mich zukommt:
»Warum bist du hier, Bruder?« fragte er mich, aber da kamen schon zwei Gendarmen: und wir wurden in verschiedene Säle geführt.
»Den ganzen 23. April verbrachten wir fast bis zur Nacht in der Dritten Abteilung. Das war ein Tag quälender Ungewißheit. Man verteilte uns zu 8 oder
10 in
den verschiedenen Sälen. Gegen Mittag erschien der Chef der Gendarmerie, Fürst Orloff, und hielt eine kurze Ansprache an die Verhafteten, des Inhalts, daß wir durch unser Verhalten die Regierung gezwungen hätten, uns der Freiheit zu berauben; nach sorgfältiger Prüfung der Angelegenheit werde das Gericht das Urteil über uns fällen, doch die letzte Entscheidung hinge von der Gnade Seiner Kaiserlichen Majestät ab.
»Man gab uns Tee, ein Frühstück, Kaffee, ein Mittagessen, kurz, wir wurden glänzend versorgt.« Das bestätigen auch die Aussagen der anderen, denen sogar Zigarren angeboten worden sein sollen. »Gegen 11 Uhr abends begann man, uns einzeln aufzurufen. Keiner, der hinausgegangen war, erschien wieder. Schließlich wurde auch ich hinausgerufen und in das Kabinett zu Dubbelt geführt. Der frug mich nach meinem Namen und befahl mir, dem Herrn Leutnant zu folgen, der sich mit einem Gendarmen und mir in die Kutsche setzte... Sonderbarerweise kam es mir gar nicht in den Sinn, daß man mich nach der Festung bringen könnte.« Erst als sie dort anlangten, wurde ihm klar, um was es sich handeln mochte. Das Zimmer, in das man ihn führte, war kaum erhellt: von einer kleinen Tranlampe, die auf einem hohen Vorsprung über dem Fenster stand. Dieses Zimmer erwies sich als sehr feucht, so daß der Festungskommandant am nächsten Morgen bei seinem Rundgange sagte: »Ja, hier ist es nicht schön, ganz und gar nicht schön, – man muß sich beeilen.« Mit diesen letzten Worten hatte er wohl nur sagen wollen, daß man sich mit der Instandsetzung der neuen Kasematten beeilen müsse – was Andrei Michailowitsch sich damals freilich nicht so zu deuten verstand. Auf seine Frage: ›Weshalb bin ich verhaftet worden?‹ antwortete ihm der Kommandant: »Das wird man Ihnen beim Verhör erklären.«
»Und von nun an,« erzählt Andrei Michailowitsch weiter, »verlief mein Leben von einem Tag zum anderen in vollkommenem Nichtstun. Weder Bücher, noch Schreibpapier! Die einzige
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