Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
beendet, Makar Alexejewitsch, es fiel mir zu schwer, zu schreiben. Bisweilen habe ich Augenblicke, wo es mich freut, allein zu sein, allein meinem Kummer nachhängen zu können, allein, ganz allein die Qual auszukosten, und solche Stimmungen überfallen mich jetzt immer häufiger. In meinen Erinnerungen liegt etwas mir Unerklärliches, das mich unwiderstehlich gefangen nimmt, und zwar in einem solchen Maße, daß ich oft stundenlang für alles mich Umgebende vollständig unempfindlich bin und die Gegenwart, alles Gegenwärtige, vergesse. Ja, es gibt in meinem jetzigen Leben keinen Eindruck, gleichviel welcher Art, der mich nicht an etwas Aehnliches aus meinem früheren Leben erinnerte, am häufigsten an meine Kindheit, meine goldene Kindheit! Doch nach solchen Augenblicken wird mir immer unsäglich schwer zumute. Ich fühle mich ganz entkräftet, meine Schwärmerei erschöpft mich und meine Gesundheit wird sowieso schon immer schwächer.
Doch dieser frische, helle, glänzende Herbstmorgen, wie wir ihn jetzt selten haben, hat mich heute neu belebt und mit Freude erfüllt. So haben wir schonHerbst! O, wie liebte ich den Herbst auf dem Lande! Ich war ja damals noch ein Kind, aber doch fühlte und empfand ich schon alles in gesteigertem Maße. Den Abend liebte ich im Herbst eigentlich mehr als den Morgen. Ich erinnere mich noch – nur ein paar Schritte weit von unserem Hause, am Berge, lag der See. Dieser See – es ist mir, als sehe ich ihn jetzt wirklich vor mir – so hell und rein, wie Kristall! War der Abend ruhig, dann spiegelte sich alles im See. Kein Blatt rührte sich in den Bäumen am Ufer, der See lag blank und regungslos wie ein großer Spiegel. Frisch und kühl! Im Grase blinkt der Tau. In einer Hütte fern am Ufer brennt schon das Herdfeuer, die Herden werden heimgetrieben – da schleiche ich denn heimlich aus dem Hause zum See und schaue und schaue und vergesse ganz, daß ich bin. Ein Bündel Reisig brennt bei den Fischern dicht am Ufer und der Feuerschein fließt in einem langen Streifen auf dem Wasserspiegel zu mir hin. Der Himmel ist blaßblau und kalt und im Westen über dem Horizont ziehen sich rote feurige Streifen, die nach und nach bleicher werden und schließlich ganz blaß vergehen. Der Mond geht auf. Die Luft ist so klar, so regungslos still – bald fliegt ein Vogel auf oder rauscht das Schilf leise unter einem Windhauch – alles, selbst das leiseste Geräusch ist deutlich zu hören. Ueber dem blauen Wasser erhebt sich langsam weißer Nebel, so leicht und durchsichtig. In der Ferne dunkelt es, es ist, als versinke dort alles im Nebel, in der Nähe aber ist alles so scharf umrissen – das Boot, das Ufer, die Insel – eine alte Tonne, die im Schilf vergessen ist, schaukelt kaum-kaummerklich auf dem Wasser, ein Weidenzweig mit vertrockneten Blättern liegt nicht weit von ihr im Schilf. Eine verspätete Möve fliegt auf, taucht ins Wasser, fliegt wieder auf und verschwindet im Nebel, – und ich schaute und horchte, – wundervoll, so wundervoll war mir zumut! Und doch war ich noch ein Kind …!
Ich liebte den Herbst, namentlich den Spätherbst, wenn das Korn schon eingeerntet ist, die Feldarbeiten beendet sind, man des Abends in den Hütten zusammenkommt und alle sich auf den Winter vorbereiten. Dann werden die Tage dunkler, der Himmel bewölkt sich, die Wälder werden gelb, das Laub fällt von den Bäumen und die Bäume stehen kahl und schwarz, – namentlich abends, wenn sich noch feuchter Nebel erhebt, dann erscheinen sie wie dunkle, unförmige Riesen, wie schreckliche Gespenster. Und wenn man sich auf dem Spaziergang etwas verspätet und hinter den anderen zurückbleibt – wie eilt man ihnen dann nach, und wie groß wird die Bangigkeit! Man zittert wie ein Espenblatt, auf einmal – hinter jenem Baumstamm – hat sich dort nicht etwas Schreckliches versteckt, das gleich hervorlugen wird? Und da fährt der Wind durch den Wald und es braust und rauscht und dazwischen scheinen Stimmen zu heulen und zu klagen, und Blätter fliegen durch die Luft und wirbeln im Winde, und plötzlich zieht rauschend mit gellem Geschrei eine ganze Wolke Zugvögel vorüber. Die Angst wächst ins Riesenhafte, und da ist es – als hörte man jemand, eine fremde Stimme raunen: »Laufe, laufe, Kind, verspäte dich nicht, hier wird alles gleich voll Grauen sein, laufe, Kind!« – und Entsetzen erfaßt das Herz undman läuft und läuft, bis man außer Atem zu Hause anlangt. Im Hause aber ist Leben und
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