Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Fröhlichkeit: uns Kindern wird eine Arbeit gegeben, Erbsen auszuhülsen oder Mohnkörnchen aus den Kapseln zu schütteln. Im Ofen prasselt das Feuer, Mama beaufsichtigt lächelnd unsere fröhliche Arbeit und die alte Kinderfrau Uljana erzählt uns schreckliche Märchen von Zauberern und Räubern. Und wir Kinder rücken ängstlich einander näher, aber das Lächeln will doch nicht von den Lippen weichen. Und plötzlich ist alles still … Hu! da, ein Surren und Klopfen – pocht jemand an der Tür? – Nein, es ist nur das Spinnrad der alten Frolowna! Und wie wir lachen! Dann aber kommt die Nacht, und man kann vor Angst nicht schlafen, Schreckbilder und Träume verscheuchen die Müdigkeit. Und wacht man auf, so wagt man nicht sich zu rühren und liegt zitternd bis zum Morgengrauen unter der Decke. Wenn aber dann die Sonne in das Zimmer scheint, steht man doch wieder frisch und munter auf und schaut neugierig durch das Fenster: auf dem Stoppelfelde liegt silbriger Herbstreif und alle Bäume und Büsche sind bereift. Wie eine dünne Glasscheibe hat sich Eis auf dem See gebildet, und die Vögel zwitschern lustig. Und Sonne, überall Sonne, wie Glas bricht das dünne Eis unter den warmen Strahlen. So hell ist es, so klar, so … so wonnig!
Im Ofen prasselt wieder das Feuer, wir setzen uns an den Tisch, auf dem schon der Samowar summt, und durch das Fenster sieht unser schwarzer Hofhund Polkan und wedelt schmeichelnd mit dem Schwanz. Ein Bäuerlein fährt am Hause vorüber, in den Wald,nach Holz. Alle sind so zufrieden, so frohgemut!… In den Scheunen sind ganze Berge von Korn aufgehäuft, in der Sonne glänzt goldgelb die Strohdeckung der großen, großen Heuschober – es ist eine wahre Lust, das alles anzusehen! Und alle sind ruhig, alle sind froh: alle fühlen den Segen Gottes, der ihnen in der Ernte zuteil wurde, alle wissen, daß sie im Winter nicht darben werden, und der Bauer weiß, daß er seinen Kindern Brot zu geben hat und sie satt sein werden. Deshalb hört man abends die Lieder der Mädchen, die fröhlich ihren Reigen tanzen, deshalb sieht man sie alle am Feiertage ihr Dankgebet im Gotteshause sprechen … Ach wie wundervoll, wie wundervoll war meine Kindheit!…
Da habe ich jetzt wie ein Kind geweint. Daran sind natürlich nur diese Erinnerungen schuld. Ich habe so lebhaft, so deutlich alles vor mir gesehen, die ganze Vergangenheit lebte auf, und die Gegenwart erscheint mir jetzt doppelt trüb und dunkel!… Wie wird das enden, was wird aus uns werden? Wissen Sie, ich habe das seltsame Vorgefühl oder sogar die Ueberzeugung, daß ich in diesem Herbst sterben werde. Ich fühle mich sehr, sehr krank. Ich denke oft an meinen Tod, aber eigentlich möchte ich doch nicht so sterben – würde nicht in dieser Erde ruhen wollen … Vielleicht werde ich wieder krank, wie im Frühling, denn ich habe mich von jener Krankheit noch nicht erholt.
Fedora ist heute für den ganzen Tag ausgegangen und ich bin allein. Seit einiger Zeit fürchte ich mich, wenn ich allein bin: es scheint mir dann immer, daß noch jemand mit mir im Zimmer ist, daß jemand zumir spricht, und zwar besonders dann, wenn ich aus meinen Träumereien, die mich mit ihren Erinnerungen ganz gefangen nehmen und die Wirklichkeit vergessen lassen, plötzlich erwache und mich umsehe. Es ist mir dann, als habe sich etwas Unheimliches im Zimmer versteckt. Sehen Sie, deshalb habe ich Ihnen auch einen so langen Brief geschrieben: wenn ich schreibe, vergeht es wieder – Leben Sie wohl. Ich schließe meinen Brief, ich habe weder Papier noch Zeit, um weiterzuschreiben. Von dem Gelde für meine verkauften Kleider und den Hut habe ich nur noch einen Rubel. Sie haben Ihrer Wirtin zwei Rubel gegeben, das ist gut: jetzt wird sie hoffentlich eine Weile schweigen. – Versuchen Sie doch, Ihre Kleider irgendwie ein wenig auszubessern. Leben Sie wohl, ich bin so müde. Ich begreife nicht, wovon ich so schwach geworden bin. Die geringste Beschäftigung ermüdet mich. Wenn Fedora mir eine Arbeit verschafft – wie soll ich dann arbeiten? Das ist es, was mir den Mut raubt.
W. D.
5. September.
Mein Täubchen Warinka!
Heute, mein Engelchen, habe ich viele Eindrücke empfangen. Mein Kopf tat mir den ganzen Tag über weh. Um die Kopfschmerzen zu vertreiben, ging ich schließlich hinaus: ich wollte längs der Fontanka wenigstens etwas frische Luft schöpfen. Der Abend war düster und feucht. Jetzt dunkelt es doch schon um sechs! Es regnete nicht, aber es war neblig,
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