Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Kind, ich bin nicht hartherzig und böse. Um aber Ihr Herzchen, mein Täubchen, zerfleischen zu können, müßte man gar ein blutdürstiger Tiger sein. Nun, ich habe ein Lämmerherz und, wie Ihnen bekannt sein dürfte, keine Veranlagung zu blutdürstiger Raubtierwildheit. Folglich bin ich, mein Engelchen, nicht eigentlich schuld an meinem Vergehen, ganz wie mein Herz und meine Gedanken nicht schuldig sind. Das ist nun einmal so, und ich weiß es selbst nicht, was oder wer eigentlich die Schuld trägt. Das ist nun schon so eine dunkle Sache mit uns, mein Kind!
Dreißig Kopeken haben Sie mir geschickt und dann noch zwanzig Kopeken: mein Herz weinte, als ich Ihre Waisengeldchen in Händen hielt. Sie haben sich das Händchen verbrannt und verletzt und bald werden Sie hungern müssen. Trotzdem schreiben Sie, ich soll mir noch Tabak kaufen. Nun sagen Sie selbst: was sollte ich denn tun? Einfach und ohne alle Gewissensbisse, rechtwie ein Räuber Sie armes Waisenkindchen zu berauben anfangen?! Es sank mir eben der Mut, mein Kind, das heißt, zuerst fühlte ich nur unwillkürlich, daß ich zu nichts tauge und daß ich selbst höchstens nur um ein Geringes besser sei, als meine Stiefelsohle. Ja, ich hielt es sogar für unanständig, mich für irgend etwas von Bedeutung, und wärs etwas noch so Geringes, zu halten, sondern fing an, in mir etwas Unwürdiges und bis zu einem gewissen Grade geradezu Gemeines und Niederes zu sehen. Nun, und als ich so die rechte Selbstachtung verloren hatte und mich der Verneinung der eigenen guten Eigenschaften und der Verleugnung meiner Menschenwürde überließ, da war denn schon so gut wie alles verloren, und er konnte kommen, der Sturz, der unvermeidliche! Das war mir offenbar so vom Schicksal bestimmt. Ich aber bin nicht schuld daran.
Ich ging nur hinaus, um etwas frische Luft einzuatmen. Doch da kam gleich eins zum anderen: auch die Natur war so regnerisch, verweint und kalt. Und dann kam mir plötzlich noch der Jemeljä entgegen. Er hatte bereits alles versetzt, Warinka, alles, was er besaß, und schon seit zwei Tagen hatte er kein Gotteskorn mehr im Munde gehabt, so daß er bereits solche Sachen versetzen wollte, die man überhaupt nicht versetzen kann, weil doch niemand so etwas als Pfand annimmt.
Nun ja, Warinka, da gab ich ihm denn nach, und zwar mehr aus Mitleid mit der Menschheit als aus eigenem Verlangen. So kam es zu jener Sünde, mein Kind! Wir weinten beide, Warinka! – sprachen auch von Ihnen! Er ist ein sehr guter, ein herzensguterMensch, und ein sehr gefühlvoller Mensch. Das fühlte ich alles, mein Kind, und deshalb ist es denn auch so gekommen, eben weil ich das alles fühlte.
Ich weiß, wieviel Dank, mein Täubchen, ich Ihnen schuldig bin! Als ich Sie kennen lernte, begann ich, auch mich selbst besser kennen zu lernen und Sie zu lieben. Bis dahin aber, mein Engelchen, war ich immer einsam gewesen und hatte eigentlich nur so mein Leben verdämmert und gar nicht wirklich auf der Erde gelebt, wie die anderen! Die bösen Menschen, die da ewig sagten, daß meine Erscheinung einfach ruppig sei, und sich schämten, mit mir zu gehen, brachten mich so weit, daß auch ich mich schließlich ruppig fand und mich meiner selbst zu schämen begann. Sie sagten, ich sei stumpfsinnig, und ich dachte auch wirklich, daß ich stumpfsinnig sei. Seitdem Sie aber in mein Leben getreten sind, haben Sie es mir hell gemacht, so daß es in meinem Herzen wie in meiner Seele licht geworden ist. Ich lernte endlich so etwas wie Seelenfrieden kennen und erfuhr, daß ich nicht schlechter war als die anderen. Daß ich dabei bin, wie ich bin, daß ich durch nichts glänze, keinen Schliff besitze, keine Umgangsformen: das ist nun einmal so. Trotzdem bin ich immer noch ein Mensch, ja, bin mit dem Herzen und den Gedanken ein ganzer Mensch! Nun, und dann, als ich fühlte, daß das Schicksal mich verfolgte, als ich, durch das Schicksal erniedrigt, zuließ, daß ich meine Menschenwürde selber vernichtete, als ich unter der Last meiner Anfechtungen zusammenbrach, da habe ich eben den Mut verloren: und das war das Unglück!
Doch da Sie jetzt alles wissen, mein Kind, bitte ichSie unter Tränen, mich nie mehr über diesen Zwischenfall auszufragen oder auch nur davon zu reden, denn mein Herz ist schon ohnehin zerrissen und das Leben wird mir schwer und bitter.
Ich bezeuge Ihnen, mein Kind, meine Ehrerbietung und verbleibe Ihr treuer
Makar Djewuschkin.
3. September.
Ich habe meinen letzten Brief nicht
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