Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
ich das Geld geworfen habe. Und er kam zu mir gelaufen, das ganze Kerlchen zitterte, das Stimmchen zitterte, und er streckte mir das Papier entgegen und sagte: »Bitte, Herr!«
Ich nahm das Papier, entfaltete es und las – nun, man kennt das ja schon: Wohltäter … und so weiter, drei Kinder hungern, die Mutter liegt im Sterben, habt Erbarmen mit uns! »Wenn ich vor dem Throne Gottes stehen werde, will ich in meiner Fürbitte diejenigen nicht vergessen, die hienieden meinen armen Kindern geholfen haben.«
Was soll man da viel reden, die Sache ist doch klar und oft genug erlebt. Was aber – ja, was sollte ich ihm wohl geben? Nun, so gab ich ihm denn nichts. Dabei tat er mir so leid! So ein armer kleiner Knabe,ganz blau war er vor Kälte, und so hungrig sah er aus, und er log doch nicht, bei Gott, er log nicht! – ich weiß, wie das ist! Schlecht ist nur, daß diese Mütter ihre Kinder nicht schonen und sie halbnackt und bei dieser Kälte hinausschicken. Dessen Mutter ist vielleicht so ein dummes Weib, das nicht weiß, was zu tun seine Pflicht wäre, vielleicht kümmert sich niemand um sie und da sitzt sie denn müßig zu Hause und tut nichts! Vielleicht ist sie aber auch wirklich krank? Nun ja, immerhin könnte sie sich dann an einen Wohltätigkeitsverein wenden, oder sich bei der Polizei melden, wie es sich gehört. Aber vielleicht ist sie einfach eine Betrügerin, die ein hungriges, krankes Kind auf die Straße hinausschickt, um die Leute zu beschwindeln, bis das Kindchen schließlich an irgendeiner Krankheit stirbt? Und was lernt denn der Knabe bei diesem Betteln? Sein Herz wird hart und grausam. Er geht vom Morgen bis zum Abend umher und bettelt. Viele Menschen gehen an ihm vorüber, doch niemand hat Zeit für ihn. Ihre Herzen sind hart, ihre Worte grausam.
»Fort! Pack dich! Straßenjunge!« – das ist alles, was er an Worten zu hören bekommt, und das Herz des Kindes krampft sich zusammen, und vergeblich zittert der arme, verschüchterte Knabe in der Kälte. Seine Hände und Füße erstarren. Wie lange noch, und da – er hustet ja schon – kriecht ihm die Krankheit wie ein schmutziger, scheußlicher Wurm in die Brust, und ehe man sich dessen versieht, beugt sich schon der Tod über ihn, und der Knabe liegt sterbenskrank in irgendeinem feuchten, schmutzigen, stinkenden Winkel, ohne Pflege, ohne Hilfe – das aber ist dann seinganzes Leben gewesen! Ja, so ist es oft – ein Menschenleben! Ach, Warinka, es ist qualvoll, ein »um Christi willen« zu hören und vorübergehen zu müssen, ohne etwas geben zu können, und dem Hungrigen sagen zu müssen: »Gott wird dir geben.«
Gewiß, manch ein »um Christi willen« braucht einen nicht zu berühren. (Es gibt ja doch verschiedene »um Christi willen«, mein Kind.) Manch eines ist gewohnheitsmäßig bettlerhaft, so ein Ton, langgezogen, eingeleiert, gleichgültig. An einem solchen Bettler ohne Gabe vorüberzugehen, ist noch nicht so schlimm, man denkt: der ist Bettler von Beruf, der wird es verwinden, der weiß schon, wie man es verwindet. Aber manch ein »um Christi willen«, das von einer ungeübten, gequälten, heiseren Stimme hervorgestoßen wird, das geht einem wie etwas Unheimliches durch Mark und Bein, – so wie heute, gerade als ich von dem kleinen Jungen das Papier genommen hatte, da sagte einer, der dort am Zaun stand – er wandte sich nicht an jeden –: »Ein Almosen, Herr, um Christi willen!« – sagte es mit einer so stockenden, hohlen Stimme, daß ich unwillkürlich zusammenfuhr … unter dem Eindruck einer schrecklichen Empfindung. Ich gab ihm aber kein Almosen: denn ich hatte nichts. Und dabei gibt es reiche Leute, die es nicht lieben, daß die Armen über ihr schweres Los klagen – sie seien »ein öffentliches Aergernis«, sagen sie, »sie seien lästig«! nichts als »lästig«: – Das Gestöhn der Hungrigen läßt diese Satten wohl nicht schlafen?!
Ich will Ihnen gestehen, meine Liebe, ich habe alles dies zum Teil deshalb zu schreiben angefangen, ummein Herz zu erleichtern, zum Teil aber auch deshalb, und zwar zum größten Teil, um Ihnen eine Probe meines guten Stils zu geben. Denn Sie werden es doch sicher schon bemerkt haben, mein Kind, daß mein Stil sich in letzter Zeit bedeutend gebessert hat? Doch jetzt habe ich mich, anstatt mein Herz zu erleichtern, nur in einen solchen Kummer hineingeredet, daß ich ordentlich anfange, selbst von Herzensgrund mit meinen Gedanken Mitgefühl zu empfinden, obschon ich sehr wohl weiß, mein
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