Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
zieht sich die Sache schon ein paar Jahre so hin: es herrscht immer noch nicht volle Klarheit in der Angelegenheit, so daß auch Gorschkoff nicht freigesprochen werden kann, – »der Ehrlosigkeit aber, die man mir vorwirft,« sagt Gorschkoff, »des Betruges und der Hehlerei bin ich nicht schuldig, nicht im geringsten!« Das ändert jedoch nichts daran, daß er wegen dieser Sache aus dem Dienst entlassen worden ist, obschon man ihm, wie gesagt, ein eigentliches Verschulden nicht hat nachweisen können. Auch hat er eine nicht unbedeutende Geldsumme, die ihm gehört, und die ihm der Kaufmann nun vor Gericht streitig macht, noch immer nicht durch den Prozeß herausbekommen können, was um so trauriger ist, als damit gleichzeitig, wie er sagte, noch seine Rechtfertigung zusammenhängt.
Ich glaube ihm aufs Wort, Warinka, das Gericht aber denkt anders. Es ist, wie gesagt, eine so verzwickte Sache, daß man sie selbst in hundert Jahren nicht entwirren könnte. Kaum hat man sie ein wenig aufgeklärt, da bringt der Kaufmann wieder eine neue Unklarheit hinein und ändert die Lage der Sache abermals. Ich nehme herzlichen Anteil an Gorschkoffs Mißgeschick, meine Liebe, ich kann ihm alles so nachfühlen. Ein Mensch ohne Stellung, niemand will ihn annehmen, da er nun einmal in dem Ruf der Unzuverlässigkeit steht. Was sie erspart hatten, haben sie aufgezehrt. Die Sache kann sich noch lange hinziehen – sie aber müssen doch leben. Und da kam dann noch plötzlich zu so ungelegener Zeit ein Kindchen zur Welt – das verursachtenatürlich erst recht Ausgaben. Dann erkrankte der Sohn – wieder Ausgaben. Und der Sohn starb – und das hat neue Ausgaben verlangt. Auch die Frau ist krank und auch er leidet an irgendeiner schleichenden Krankheit. Mit einem Wort, so ein Los ist schwer, sehr schwer! Uebrigens, sagte er, die Sache werde sich in einigen Tagen nun doch entscheiden, und zwar sicher günstig für ihn, daran könne man jetzt nicht mehr zweifeln. Ja, er tut mir leid, sehr leid, mein Kind! Ich habe ihn denn auch recht freundlich behandelt. Er ist ja doch ein ganz eingeschüchterter, ängstlich gewordener Mensch, er hat Bedürfnis nach einem aufmunternden Wort, nach etwas Güte und Wohlwollen. Da habe ich ihn denn, wie gesagt, freundlich behandelt.
Nun, leben Sie wohl, mein Kind, Christus sei mit Ihnen, bleiben Sie gesund. Mein Täubchen Sie! Wenn ich an Sie denke, ist es mir, als lege sich Balsam auf meine kranke Seele, und wenn ich mich auch um Sie sorge, so sind mir doch auch diese Sorgen eine Lust.
Ihr aufrichtiger Freund
Makar Djewuschkin.
9. September.
Warwara Alexejewna, Sie mein liebes Kind!
Ich schreibe Ihnen, ganz außer mir, wie ich bin. Durch diesen Vorfall bin ich so aufgeregt, bis zur Fassungslosigkeit aufgeregt! In meinem Kopf dreht sich noch alles im Kreise. Ich fühle es förmlich, wie sich ringsum alles dreht. Ach, meine Gute, meine Liebe, wie soll ich Ihnen das nun erzählen! Das habenwir uns ja nicht mal träumen lassen! Oder doch – ich glaube, ich habe alles vorausgeahnt, alles vorausgeahnt! Mein Herz hat das schon vorher gewußt, hat gefühlt, wie es kam … Und wirklich, ich habe neulich etwas Aehnliches im Traume gesehen!
Nun hören Sie, was geschehen ist! – Ich werde Ihnen alles erzählen, ohne diesmal auf den Stil Sorgfalt zu verwenden, ganz einfach, wie Gott es mir eingibt.
Ich ging heute, wie gewöhnlich, frühmorgens in den Dienst. Komme hin, setze mich, schreibe weiter. Sie müssen nämlich wissen, mein Kind, daß ich gestern gleichfalls geschrieben habe. Nämlich gestern, da kam Timofei Iwanowitsch zu mir und sagte: »Hier ist ein wichtiges Dokument, das schnell abgeschrieben werden muß. Also machen Sie sich sogleich daran – sauber und sorgfältig … Exzellenz müssen es heute noch unterschreiben.« Ich muß vorausschicken, mein Engelchen, daß ich gestern gar nicht so war, wie man eigentlich sein muß – will sagen, daß ich eigentlich überhaupt nichts ansehen wollte. Kummer und Gram bedrückten mich. Im Herzen war es kalt, in der Seele dunkel. Meine Gedanken aber waren alle bei Ihnen, mein Sternchen. Nun, und da machte ich mich denn daran, abzuschreiben … schrieb sauber, gewissenhaft, nur – ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen das genauer erklären soll, ob mich der leibhaftige Gottseibeiuns selber dazu verleitete oder ob da sonst welche geheimen Kräfte mit im Spiel waren, oder ob es einfach so und nicht anders kommen mußte: – nur ließ ich beim Abschreiben eine
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