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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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treffen hatte.
    ›Siehst du‹, sagte mein Vater; ›wenn du nur willst!‹
    Die Sonate war zu Ende; er legte, da es jetzt so ungewöhnlich glückte, gleich noch ein anderes Musikstück aufs Pulpet, das ich allein zu spielen hatte. – Ich fing auch tapfer an; aber da mein Vater nicht selbst mitspielte, sondern, mich scharf beobachtend, neben mir stand, so wurde ich verwirrt und mühte mich vergebens, die mich so plötzlich überkommene Sicherheit festzuhalten. Vielleicht auch, daß jener herbe Zauber überhaupt nicht weiter reichte! Es schwamm schon wieder wie Nebel um mich her, meine alte Angst befiel mich, und – da gingen die Gedanken hin; wie fliegende Vögel, die schon weit von mir in der grauen Luft verschwanden.
    Ich spielte nicht mehr. ›Schlage mich nicht, Vater‹, rief ich und stieß mit beiden Händen gegen seine Brust; ›es fehlt mir etwas; es ist in meinem Kopf; ich kann ja nicht dafür!‹
    Mein Vater, da ich so zu ihm aufblickte, sah mich heftig an; aber ich mag wohl totenblaß gewesen sein; ich hatte ohnedies nur wenig Farbe.
    ›Spiele es noch einmal für dich!‹ sagte er ruhig. Dann verließ er mich, und ich hörte, wie er den Gang hinauf nach seinem Zimmer ging.
    Aber ich konnte nicht spielen. Eine Trostlosigkeit überfiel mich, wie ich sie nie empfunden hatte; ein Mitleid mit mir selber, als müsse es mir die Seele fortschwemmen. Über dem Klavier hing das Bildnis meiner Mutter, welches Sie neulich bei mir gesehen haben. Ich weiß noch, wie ich meine Hände dahin ausstreckte und in kindischem Unverstand einmal über das andre wiederholte: ›Ach, hilf mir, Mutter! Oh, meine liebe Mutter, hilf mir!‹ Dann legte ich den Kopf in meine Hände und weinte bitterlich.
    Wie lange ich so gesessen habe, weiß ich nicht. Schon länger hatte ich es draußen auf dem Hausflur gehen hören, aber ich hatte mich nicht gerührt, obgleich ich wußte, daß hier vorne niemand außer mir im Hause war; endlich, da von draußen an die Tür geklopft wurde, stand ich auf und öffnete. Es war ein mir bekannter Handwerker, der meinen Vater in einer Geschäftssache zu sprechen wünschte. – ›Sind Sie krank, junger Herr?‹ fragte der Mann. Ich schüttelte den Kopf und sagte: ›Ich werde fragen, ob es paßt.‹
    Als ich in meines Vaters Zimmer trat, stand er an einem seiner großen Bücherregale; ich hatte ihn oft so gesehen, das eine oder andere Buch hervorziehend, darin blätternd und es dann wieder an seinen Platz stellend; aber heute war es anders, er hatte den Arm auf eines der Borte gestützt und seine Augen mit der Hand bedeckt.
    ›Vater!‹ sagte ich leise.
    – ›Was willst du, Kind?‹
    ›Es ist jemand da, der dich zu sprechen wünscht.‹
    Er antwortete nicht darauf; er nahm die Hand von den Augen und rief leise meinen Namen.
    Dann lag ich an meines Vaters Brust; zum ersten Mal in meinem Leben. Ich fühlte, daß er zu mir sprechen wollte; aber er streichelte nur mein Haar und sah mich bittend an. ›Mein armer, lieber Junge!‹ war alles, was er über seine Lippen brachte. Ich schloß die Augen; mir war, als sei ich nun vor aller Lebensnot geborgen. – Trotz meiner Mutter Tod vergaß ich immer wieder, daß alles stirbt und wechselt.
    Aber es war eine glückliche Zeit, die ich von nun an noch zu Hause verlebte; mein Vater war nie wieder heftig gegen mich, eine Mutter hätte nicht zarter mit mir umgehen können; auch der Frühling brach damals in einer Schönheit an, wie ich mich dessen nicht wieder zu erinnern meine. – Hinter der Stadt zwischen Hecken und Wällen war ein wüster Platz, wo einst ein Gartenhaus gestanden hatte, um den sich aber niemand mehr zu kümmern schien. Von den Blumen, die dort einst gepflegt sein mochten, sah man nur noch die Veilchen, die hier schon in den ersten Frühlingstagen blühten. Ich ging oft dahin; auch später, wenn in der Hecke sich der Hagedorn mit seinem Blumenschnee bedeckte oder wenn alles ausgeblüht hatte und nur noch die Hänflinge und der Emmerling durch die Büsche schlüpften. Manche Stunde habe ich hier im Grase gelegen; es war so still und feierlich; nur die Blätter und die Vögel sprachen. – Aber niemals sah ich diesen Ort in solcher Schönheit wie in jenem Frühling. Gleich mir waren auch die Bienen schon ins Feld hinausgezogen; wie Musik wob und summte es über tausend Veilchenkelchen, die wie ein blauer Schein aus Gras und Moos hervorbrachen. Mein ganzes Schnupftuch pflückte ich voll; mir war wie ein Seliger in diesem Duft und Sonnenschein.

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