Werke
Dann setzte ich mich ins Gras, nahm etwas Bindfaden, den ich immer bei mir führte, und begann gleich einem Mädchen einen Kranz zu binden; über mir im Blauen sang so herzkräftig eine Lerche. ›Du liebe, schöne Gotteswelt!‹dachte ich; und dann geriet ich sogar ins Versemachen. Freilich, es waren nur kindische Gedanken in den hergebrachten Reimen; aber mir war sehr froh dabei zu Sinne.
– – Als ich nach Hause kam, hing ich den Kranz in meines Vaters Stube; ich weiß noch wohl, wie glücklich ich mich fühlte, daß ich mir jetzt solche Allotria bei ihm erlauben durfte.
– Noch eines muß ich sagen! Später, in seinem Nachlaß, fand ich ein Sparkassenbuch auf meinen Namen und über eine große Summe; die erste Post derselben war, wie das Datum auswies, an jenem unglücklich-glücklichen Tage von ihm belegt worden. Es hat mich sehr erschüttert, als ich das Buch bei seinem Testamente fand; zum Glück bedurfte ich der Unterstützung nicht.«
– – Wir waren eben aus entlegeneren Gassen, die wir bei unserem Gespräche unwillkürlich aufgesucht hatten, wieder in eine der Hauptstraßen eingebogen. Während ich fast verstohlen den schon alternden Mann an meiner Seite betrachtete, legte er plötzlich die Hand auf meinen Arm. »Wollen Sie es einmal ansehen!« sagte er. »Hier wohnten wir, als meine Eltern lebten; es war unser eigenes Haus; aber nach unseres Vaters Tode mußte es verkauft werden.«
Als ich aufblickte, sah ich, daß die stattliche Fensterreihe des oberen Stockwerks hell erleuchtet war.
»Ich hätte einmal ein paar schöne Unterrichtsstunden dort bekommen können«, begann er wieder; »aber ich mochte es mir nicht zuleide tun; ich fürchtete, ich könne einmal auf der Treppe drinnen einem armen blassen Jungen begegnen, einem Menschen, aus dem nicht viel geworden ist.« – –
Er schwieg.
»Sprechen Sie nicht so!« sagte ich. »Ich habe bisher geglaubt, Sie seien nicht weniger glücklich als wir andern Menschen.«
»Nun ja!« versetzte er fast verlegen und lüftete ein paarmal seinen grauen Filzhut; »ich bin’s ja auch, ich bin’s ja auch! Es war nur so ein Einfall; ich weiß sonst wohl, daß man sich keine dummen Gedanken machen soll!«
Schon längst hatte ich bemerkt, daß diese letzte Phrase ihm gleichsam als Riegel diente, um alle vergeblichen Hoffnungen und Wünsche von sich abzusperren.
– – Eine Viertelstunde später befanden wir uns auf meinem Zimmer, wohin ich ihn, mein Abendbrot zu teilen, eingeladen hatte. Während ich mich bemühte, über meiner Spiritusmaschine ein Kännchen nordischen Punsches zu brauen, stand er an meinem Bücherbrett und besichtigte mit offenbarem Vergnügen die hübsche Reihe meiner Chodowiecki-Ausgaben. »Aber eine fehlt Ihnen doch!« sagte er. »Die Bürgerschen Gedichte mit dem langen Subskribentenverzeichnis! Es ist schon ein Spaß, unter all den alten Herrschaften die eigenen Urgroßväter aufzusuchen; von den Ihrigen würden Sie gewiß auch darunter finden.« Er sah mich mit seinem herzlichen Lächeln an. »Ich habe das Buch zufällig doppelt; wollen Sie sich das eine Exemplar gelegentlich bei mir abholen?«
Ich nahm das dankend an. Und bald saßen wir nebeneinander im Sofa, die dampfenden Gläser vor uns, er aus meiner längsten Pfeife rauchend, die er statt der vor ihm liegenden Zigarren sich erbeten hatte. – Als er den Probeschluck getan, hielt er das Glas noch in der Hand und sagte darauf hinnickend: »Das tranken wir zu Hause immer am Neujahrsabend; einmal als Knabe trank ich mir sogar einen argen Rausch darin, so daß mir viele Jahre ein Widerwille gegen dieses edle Kunstgebräu geblieben ist. Aber jetzt – jetzt schmeckt es wieder!« Er tat einen behaglichen Zug und setzte sein Glas dann auf den Tisch.
Wir rauchten, wir plauderten, und das Gespräch ging hin und her. – »Nein«, sagte er, »die Dinger, die man Konservatorien nennt, gab es derzeit wohl noch nicht in unserm Deutschland; ich ward zu einem tüchtigen Klaviermeister in die Lehre getan und habe mich dort ein paar Jahre lang mit Theorie und Technik redlich abgearbeitet. Außer mir war noch einer da, der schon nach kurzer Zeit den Hofpianistentitel in der Tasche hatte; und doch, wenn ich bisweilen so saß und seinem Spiele zuhörte, hab ich mir’s nicht ausreden können, daß ich, Christian Valentin, das alles noch viel besser machen würde, wenn – ja wenn nur die Finger und die Gedanken bei mir so fix zusammengegangen wären. Sie sehen«, setzte er hinzu, indem er mit
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