Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
dem Daumen und kleinen Finger ein paar weite Spannungen auf der Tischdecke machte, »daran liegt es nicht; das sind die schulgerechten Klavizimbelschläger.«
    »Vielleicht«, warf ich ein, »sind Sie gegen sich selber zu gewissenhaft gewesen; den gröberen Naturen kommt niemals etwas zwischen Finger und Gedanken.«
    Er schüttelte den Kopf. »Es ist doch anders; und wenn auch – ich kann das nicht regieren. – – Bevor ich mich hier dauernd niederließ, habe ich längere Zeit in einer andern Stadt als Musiklehrer gelebt; und da man keine Konzertvorträge von mir verlangte, so habe ich dort vielleicht das Meinige geleistet. Auch war es mir trotz des damals überall nur mäßigen Honorars schon in den ersten Jahren gelungen, ein Sümmchen für die Zukunft hinzulegen; ob für ein einsames Junggesellenalter oder ob – –«
    Er nahm sein Glas und leerte es auf einen Zug. »So«, sagte er, »nun habe ich mir Mut getrunken! Ihnen erzähl ich’s gern; ja, mir ist, als könnt ich Ihnen noch einmal meinen Mozart spielen!«
    Er hatte meine beiden Hände ergriffen; seine blassen Wangen waren leicht gerötet. – »Ich wohnte damals bei einem Buchbindermeister«, begann er wieder, »der nebenbei ein kleines Antiquariat betrieb; oh, manches liebe Büchlein ist damals in meine Bibliothek gewandert! Wer mich aber auslachte, wenn ich mit solch einem Scharteklein wie mit einem kostbaren Raube nach meinem Zimmer hinaufstolperte, das war die eigene Tochter meines Antiquars; sie trug den schönen Namen Anna; aber sie hielt nicht viel von Büchern. Desto lieber sang sie; Volkslieder und Opernarien – Gott weiß, woher ihre jungen Ohren das alles aufgefangen hatten! Und eine Stimme war das! Signora Katerina, die im selben Hause ein Mansardenstübchen innehatte, war in stetiger Entrüstung, daß dieser ›Kindskopf‹ sich nicht von ihr wollte in die Schule nehmen lassen. ›Monsieur Valentin!‹ rief sie einmal, als die Anna nach einer langen Ermahnung lachend vor ihr stand; ›sehen Sie dieses Mädchen! Sie hat das Glück im Hause, aber sie stößt es mit ihren kleinen Füßen von sich, und dann – ja, ja, Kindchen; unversehens kommt das Alter! Wie ich hier vor Ihnen stehe, ich hätte Fürsten und Exzellenzen heiraten können!‹
    ›Und ich‹, sagte der Kindskopf, ›kann noch einen Prinzen heiraten; und ich tu’s gewiß, wenn er erst in seiner goldenen Kutsche vorgefahren kommt! Aber, Signora, können Sie mir das nachmachen?‹ – Und nun sang sie mit der unglaublichsten Zungenfertigkeit eines jener aus sinnlosen Silben zusammengefügten Reimgesätze; vor- und rückwärts, hinauf und hinunter. ›Sehen Sie, Signora, das sind Naturgaben!‹
    Die alte Kunstsängerin würdigte sie auf solchen Übermut meist keiner Antwort; auch jetzt wickelte sie sich schweigend in ihren roten Schal, den sie selbst im Hause nie von ihren Schultern ließ, und stieg mit würdevoll erhobener Nase nach ihrem Mansardenstübchen hinauf.
    Als sie fort war, legte Ännchen die Hände auf den Rücken, und so vor mir stehend wie ein Vogel auf dem Zweige, hub sie aufs neue an zu singen: ›Schwäbische, bayrische Dirndel, juchhe!‹ Gleich einer Leuchtkugel stieg das Juchhe in die Luft! – Dann sah sie mich mit ihren braunen Augen an und fragte treuherzig: ›Das ist aber doch schön? Nicht wahr, Herr Valentin?‹
    Wir befanden uns auf meiner Stube, wohin Ännchen mir immer mein Abendbrot heraufbrachte. Ich hatte mich ans Klavier gesetzt. ›Singen Sie weiter, Ännchen!‹ sagte ich; und so, während ich eine einfache Begleitung spielte, sang sie das Lied zu Ende, und dann ein zweites, ein drittes, und ich weiß nicht, wie viele ihrer hübschen und törichten Lieder noch. Ich weiß nur, mir war unsäglich wohl dabei. – ›Nein; wie ist’s nur menschenmöglich‹, rief das liebe Kind; ›kennen Sie denn alle meine Lieder? Aber wissen Sie was, Herr Valentin? Das hat durchs ganze Haus geschallt! Die Signora Katerina sitzt gewiß droben ganz in ihren Schal verwickelt!‹
    – – Seit jenem Tage gab es in Ännchens Kopfe keine musikalische Unmöglichkeit mehr für mich; ja, allmählich bestrickte auch mich selbst die einfältige Bewunderung und machte mich ganz zuversichtlich; einmal, da sie eben von mir gegangen war, setzte ich mich sogar hin und berechnete eifrig meine Vermögensumstände. Was soll ich’s Ihnen lang erzählen! Das Mädchen, der Kindskopf, spukte mir plötzlich durch alle meine Gedanken. Aber – da kamen die Liedertafeln in die

Weitere Kostenlose Bücher