Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
vielen Jahren schon nicht mehr.«
    »Aber hier!« erwiderte ich und wies auf eine Partitur der »Jahreszeiten«, die aufgeschlagen auf dem Pulpete lag, »das können Ihre Schüler doch nicht spielen.«
    Er nickte eifrig. »Ja, ja; aber das lese ich nur; man muß so etwas haben bei dem steten Elementarunterricht; – – es ist riesig, wie
ein
Mensch das alles so hat schreiben können!« Und er schlug begeistert die Blätter in dem großen Notenbuche hin und her.
    Als ich nach einiger Zeit fortging, sah ich draußen an seiner Zimmertür einen Zettel mit Oblaten angeklebt, worauf einige Takte aus einem Mozartschen »Ave verum« in etwas stakigen Noten hingeschrieben waren; bei späterer Wiederholung meines Besuches bemerkte ich, daß dieser Zettel von Zeit zu Zeit erneuert wurde und entweder mit dem Spruch eines Schriftstellers oder, was meistens der Fall war, mit ein paar Takten aus irgendeinem älteren Tonwerke beschrieben war. Als ich ihn dann einmal wegen dieser Seltsamkeit befragte, sah ich wieder jenes Kinderlächeln in seinem Antlitz aufleuchten. »Ist das nicht ein guter Gruß«, sagte er herzlich, »wenn man müde in sein kleines Heim zurückkehrt!«
     
    Wir hatten solcherweise schon längere Zeit in einem gewissen Verkehr gestanden, ohne daß ich Näheres von ihm erfahren hätte; da war es eines Herbstabends, als ich ihn beim Schein der Straßenlaterne, die eben angezündet wurde, aus dem Torweg eines großen Hauses kommen sah. Da ich nichts vorhatte, als nach angestrengter Arbeit mich durch ein weniges Straßauf-und-abgehen zu erfrischen, so rief ich ihn an, und er nickte freundlich, da er mich erkannte.
    »Seit wann, lieber Freund«, fragte ich, »geben Sie denn bei Präsidentens Stunde?«
    Er lachte. »Ich? Sie scherzen wohl! Nein, die Stunden hat der junge Leipziger Doktor. Sie kennen ihn doch! Ein exzellenter Musiker; er hat mir neulich wohl über eine Stunde vorgespielt; ich versichere Sie, ein herrlicher junger Mann!«
    »Kennen Sie ihn schon so genau?« fragte ich lächelnd.
    »O nein, nicht weiter; aber ein solcher Musiker muß auch ein guter Mensch sein!«
    Dagegen war nichts einzuwenden.
    »Können Sie ein wenig mit mir schlendern?« fragte ich.
    Er nickte und ging schon die Straße mit mir hinab. »Ich gab soeben meine letzte Stunde«, sagte er; »der Tochter eines Schullehrers, der dort hinten auf dem Hofe wohnt. Das ist auch so ein goldenes Herz und ein Musikgenie dazu.«
    »Aber lassen Sie die Kinder nicht in Ihre Wohnung kommen? Es ist ja nicht so weit dahin.«
    Er schüttelte lachend den Kopf. »Nein, nein, das dürfte ich wohl nicht verlangen! Aber sie freilich, sie kommt auch zu mir heraus; nur ist sie eben jetzt aus einer schweren Krankheit aufgestanden. Sie fängt schon an, den Mozart zu traktieren; und eine Stimme hat sie! – Aber das ist fürs erste noch zu früh, denn sie zählt erst dreizehn Jahre.«
    »Sie geben also auch Gesangunterricht?« fragte ich. »Da werden Sie der einzige hier sein, der das versteht!«
    »Ei, Gott bewahre!« erwiderte er; »aber bei ihr, da der Schulmeisterstochter die großen Meister unerschwinglich sind, möchte ich es gleichwohl doch versuchen, wenn Gott uns Leben schenkt. – Ich habe früher einmal mit einer alten ausgebrauchten Sängerin unter einem Dache gewohnt, die einst zu Mozarts Zeiten eine Rolle gespielt und auch ihm selber wohl zu Dank gesungen hatte. Ihre arme alte Kehle war freilich jetzt nicht viel besser als eine Türangel; ja, ein mutwilliges Mädchen – es war die Tochter meines damaligen Wirtes«, setzte er leise hinzu – , »meinte sogar, sie gleiche der unseres gesangliebenden Haustieres, und nannte die gute Alte stets ›Signora Katerina‹; aber Signora Katerina wußte gleichwohl, was Gesang war, und wir beide haben manches fürchterliche Duo miteinander ausgeführt. Sie konnte nie genug davon bekommen, ich aber lernte dabei nach und nach ihre ganze Gesangsmethode kennen. ›Merken Sie wohl auf, Monsieur Valentin!‹ pflegte sie zu sagen, hob sich dabei auf den Zehen und faßte mit den Fingerspitzen der einen Hand in ihre stets nicht eben saubere Tüllhaube: ›So wollte es der große Maestro!‹ Und dann schoß mit ungemeiner Sicherheit und oft überraschenden Akzenten eine Koloratur zu irgendeiner Mozartschen Arie aus dem alten dürren Halse. – Hatte ich nach ihrer Meinung meine Sachen gut gemacht, dann zog sie wohl ihr stets gefülltes kristallenes Naschdöschen aus der Tasche und steckte mir mit eigenen dürren Fingern eine

Weitere Kostenlose Bücher