Werke
aufgewachsen, hat sie dazu nein gesprochen und ist hernach dann meine Ahne worden.«
Sie hatte sich an den Baum gelehnt und ihre Hände vor sich in den Schoß gefaltet; so schauete sie in das Abendgold hinaus, das itzo allgemach am Erdenrand emporglomm. Ich aber blickte auf dies junge ernste Antlitz und mußte mich fast sorglich fragen, was denn wohl sie in solchem Fall gesprochen haben würde; und lobete im stillen unseren Vater, Dr. Martinum, daß er dem Unwesen der Klöster bei uns ein Ziel gesetzet.
Indem ich solches dachte, richtete sie sich jählings auf. »Nehmt’s nicht für ungut«, sprach sie hastig; »aber ich bitt Euch, wollet itzo mit mir durch das Holz gehen; es führt von hier ein Richtsteig nach dem Moor hinüber.«
Und da ich eine Unruhe auf ihrem Antlitz las, so frug ich, ob sie etwan um ihren Vater sorge.
Da schüttelte sie sich als wie aus einem Traume und sagte: »Es wird nichts sein, Herr Studiosi; aber wenn Ihr wollt, so lasset uns eilen; vielleicht, er mag uns dann entgegenkommen!«
So gingen wir in den tiefen Wald hinein. Immer stiller wurde es um uns her, und immer mächtiger wuchs die Dunkelheit; nur kaum noch mochte ich Renatens anmuthige Gestalt erkennen, wie selbige unter den hohen Stämmen so rasch vor mir dahinschritt. War mir mitunter, als gaukele vor mir dort mein Glück, und müsse ich es halten, wenn ich’s nicht verlieren wolle. Wußte aber gar wohl, daß des Mädchens Sinnen itzo auf nichts als einzig nur auf ihren Vater zielete.
Endlich dämmerte es durch die Bäume wie graues Abendlicht, der Wald hörete auf, und da lag es vor uns – weit und dunstig; hie und da blänkerte noch ein Wassertümpel, und schwarze Torfringeln rageten daneben auf; ein großer dunkler Vogel, als ob er Verlorenes suchte, revierete mit trägem Flügelschlage über dem Boden hin. An meiner Seite stund Renate; ich hörte ihren Odem gehen und konnte gewahren, wie ihre Augen angstvoll und nach allen Seiten in die vor uns hingestreckte Nacht hinausschauten; denn uns im Rücken hinter den gewaltigen Schatten des Waldes lag das letzte Tageleuchten. Da mußte ich mit dem Psalmisten sprechen: »Herr, du machest Finsterniß, und es wird Nacht; aber Himmel und Erde sind dein: denn du hast sie gegründet und alles, was darinnen ist!«
Indem aber rührete Renate mit der einen Hand an meine Schulter, und mit der anderen wies sie auf das Moor hinaus.
»Was meinest du, Renate?« frug ich.
– »Sehet Ihr nicht? Dort?«
Und da ich meine Augen anstrengte, meinete ich fern im Duste einen Schatten schreiten zu sehen; aber nur eines Athemzuges lang. »War das dein Vater?« frug ich wieder.
Da nickte sie und sprach: »Verzeihet, meine Angst war thöricht; er ist schon jenseit unseres Moores auf der festen Geest.«
»So lasset uns eilen«, rief ich; »ob wir ihn noch erreichen mögen!«
Aber sie ergriff mit beiden Händen meinen Arm: »Das Moor, Herr Studiosi, kennet Ihr das Moor? Wir können nimmermehr hinüber!« Dann, als ob ein plötzlich Grauen sie befiele, zog sie mich zurück und sagte »Kommet, hier führt der Weg am Wald hinab!« und ließ meine Hand nicht los, so lange wir den düstern Ungrund an unserer Seiten...
*
Die Handschrift ist hier lückenhaft; zunächst fehlen einige Blätter gänzlich, das dann Folgende ist durch Wasserflecke fast zerstört. Doch ist zu ersehen, daß der Studiosus Josias ein Musikfreund und mit seinem Vater der Ansicht Dr. Luthers war, die lateinische Sprache habe viel feiner musica und Gesanges in sich, daher man sie keineswegs aus dem Gottesdienste solle wegkommen lassen. – Schon als Knabe hatte er zu den auserwählten Schülern gehört, welche dem derzeitigen Husumer Kantor Petrus Steinbrecher vor der Frühpredigt assistierten und »zur Ehre Gottes und zur Erweckung eines jedes Christen Devotion« von der Orgel in die damalige gewaltige Kirche hinab das Te Deum laudamus mitgesungen. Hier in Schwabstedt werden derzeit sich auch noch Reste des lateinischen Kirchengesanges erhalten haben; denn es gelingt ihm – wo, ist nicht ersichtlich –, eine Anzahl junger Kirchensänger und -sängerinnen um sich zu versammeln, wie es heißt, »zur besseren Einübung der bekannten, sowie Erlernung einiger neu hinzugebrachter Lieder«. Renatens Stimme, welche »gleich einem silbern Licht ob allen andern schwebete«, scheint den Zauber noch verstärkt zu haben, den die Bauerntochter so unbewußt auf unsern Gottesgelahrten ausübte. Worauf sonst in jenem Sommer der Verkehr der beiden
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