Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
nachzurechnen wußte. Diesem selber aber, so gern er sonst abends in der Schenke seine Weisheit ausgeboten hatte, war seitdem die Stadt verleidet worden; sei es ob so plötzlicher Verwaisung seines Hauses, sei es wegen Haders mit der Sippe seines Weibes, die das Neugeborene nicht in seinen Händen lassen wollte.
    Nun war es schon über ein Jahrzehnt, daß abseit des Dorfes unterhalb Grieshuus sich zur Verwunderung der Bauern ein städtisch Männlein angesiedelt hatte, das Sommer und Winter in spitzem Hut und einem Vielfraßpelze in die Kirche ging. Das vom Hofherrn in Erbheuer erworbene Grundstück hatte er zum Garten umschaffen, es dann mit Wällen einschließen und diese mit Weißbuchen und Hagedorn dicht bepflanzen lassen, so daß, als allmählich die Hecken aufgewachsen waren, die Giebelseite des kleinen Hauses wie aus einem grünen Nest hervorsah, während ringsum kahle Felder lagen.
    Wer am Winterabend durch die kleinen Scheiben hier hineingesehen hätte, würde den Alten meistens mit der Feder in der Hand erblickt haben, vor einem Foliobogen gelblichen Papieres, worauf bei kargem Kerzenlichte ein Schreibwerk langsam weiterrückte. An Sommertagen mußte man ihn im Garten bei seinen Bienenkörben suchen, die dort gegen Osten in doppelten Reihen übereinander an dem hohen Zaune aufgestellt waren. Hier konnte man auch wohl das blonde Dirnlein sehen, das mit ihm eingezogen war; mitunter saßen sie beisammen auf einem Bänkchen unterhalb der grünen Hecke; der Alte hatte dann ein aufgeschlagen Buch in Händen und las ihr vor, oder er zeigte mit dem Finger und ließ die Kleine selber lesen. Ins Dorf hinunter kam sie nicht; nur eine Zeitlang, da sie größer worden, war sie wohl mit Schriften auf den Herrenhof gegangen, die ihr Vater für den alten Junker angefertigt hatte. Dann hatte auch dieses aufgehört; nun war sie seit Jahren hier nicht mehr gesehen worden: eine alte Frau in feinem Tuchmantel und verbrämter Kappe war mit ihr durch das Dorf und den Weg zur Stadt hinausgefahren, eine reiche »Möddersch«, wie man sich erzählte; das Kind sollte was Besseres lernen, als hier im Dorf zu haben war, und in der großen Kirche eingesegnet werden. Auch später hatte die Möddersch sie nicht missen wollen; als aber jetzt die Tausende des fremden Kriegsvolks gegen die Stadt anrückten, hatte das Männlein, fast mit Gewalt, die Tochter in sein Gartennest zurückgeholt. Allein eben hierher sprengte der Krieg sein losestes Gesindel; schon einmal hatte er vor des Herzogs Freunden, den längst arg berufenen Schweden, das Kind so tiefunter dem Dach versteckt gehalten, daß es danach mit einem Spinnwebhäubchen auf dem blonden Haar hervorgezogen wurde; was er aber jetzt bei hellem Sonnenschein durch eine Lücke des Gartenzaunes gegen sein Haus heranlaufen sah, die langen Schnauzbärte und die roten Mäntel, das mußten Polacken, wenn nicht gar Tataren sein!
    Die Knie des kleinen Mannes schlotterten; erst eben hatte er droben hinter dem offenen Giebelfenster eine helle Stimme singen hören. »Bärbe, Bärbe!« rief er an das Haus hinauf; »die Polacken, um Gottes Tod, schweig still!«
    Als gleich danach ein angstvolles junges Antlitz aus dem Fenster fuhr, stand er schon wieder an seinem vorhin verlassenen Bienenstande, eine Drahtmaske vorgebunden, große Lederstulpen an den Händen. Hurtig rückte er einen kleinen Holztritt von einem Stock zum andern, und schon waren unter dem tönenden Gesumm der Bienen alle oberen Körbe umgekehrt und lehnten mit der offenen Seite an den Rand des Gartenzauns.
    Der Alte nickte, ein grimmiges Lachen fuhr wie ein Schluchzen aus dem zahnlosen Munde; dann stieg er zum letzten Mal von seinem Tritt und steckte den Kopf mit dem wehenden Greishaar durch die Zaunlücke; als er aber die Kerle, voran ein schlanker Bursch mit gezogenem Pallasch, nach dem Hause zulaufen sah, winkte er ihnen mit der Hand und schrie laut und immer lauter: »Paschól! Paschól!«, ein Wort, dessen Sinn er zwar nicht kannte, das ihm aber in Entstehung eines andern hier verwendbar scheinen mochte. Und wie er es gewollt hatte, die Polacken wandten sich und kamen mit Geschrei gegen die Zaunlücke hergestürmt; das Männlein aber nickte ihnen noch einmal zu; dann packte er mit beiden Händen eine Stange und schlug damit wie toll, Reih auf und ab, gegen die offenen Bienenkörbe. »Paschól! Paschól!« schrie er; »und noch einmal Paschól!« Und die wütend gemachten Tiere stürzten sich über den Zaun auf die erschreckten

Weitere Kostenlose Bücher