Werke
worauf er mit seinem kranken Beine lag. Um zehn Uhr ging ich wieder hinab nach meinem noch weit stilleren Hause in dem Dorfe; denn ich war noch unbeweibet. Die Abel war noch immer bei denselben Leuten in der Stadt, die ihrer nicht entrathen mochten; sie hatten einen Kramladen, und das Mädchen war zu einer braven und anstelligen Jungfer aufgewachsen; in den Laden kam wohl mancher ihrethalben, der anders nicht gekommen wäre. Ich aber dachte schon lange, sie mir zum Weibe zu gewinnen.
Von Wölfen wurde seit des Wildmeisters Abgang ferner nichts gespüret, und es konnte auch ein Kind itzt ruhig durch die Wälder gehen; aber über der Thorfahrt und im Thurmhaus wohnte niemand mehr, und von hüben und von drüben leuchtete kein Licht mehr nach der Heide. Auch von dem Nachtspuk dorten hörte ich nichts wieder.
So war es im Januarius des gedachten Jahres. Der gewaltige Kriegsfürst Carolus XII. war seit der schweren Niederlage bei Pultawa fern in der Türkei geblieben; da erhuben sich alle seine Feinde, zuerst die Russen und Sachsen und der Dänenkönig Friedrich IV., der sich in dessen deutschen Herzogthümern Bremen und Verden in seinem Übermuthe von den Unterthanen hatte huldigen lassen; aber der schwedische Feldmarschall Steenbock schlug ihn bei Gadebusch und ging bei Lübeck über die Grenze in unser armes Land. So hatten wir wieder einmal alle Molesten des Krieges und waren doch im Frieden mit Dänen wie mit Schweden. Der Steenbock zog plündernd und brandschatzend bis in unsere Gegend, und mußten die drunten in der Stadt zum Willkommen allsogleich fünfhundert Tonnen Vierthalerbieres und fünfhundert Tonnen Brotkorn zu dessen Armee liefern.
Grieshuus war wohl bisher noch nicht berühret worden, aber wir waren hier in anderen Sorgen; denn unser Junker Rolf zog mit in der Armee des schwedischen Feldmarschalls. Einmal, von Pommern aus, war an den Vater ein Brief von ihm gelanget: »Mon cher papa, ich denk, wir kommen auch noch nach Grieshuus; da lasse ich mich bei Ihnen ins Quartier logen, um alles Mißgefüge zu verhüten. Und meine Falada möcht ich wieder reiten, denn unsere Pferde taugen nicht. Lasset das adelige Thier bis dahin fleißig rühren!« Aber der Herr Oberst hatte ihm darauf erwidert: »Suche Dich loszumachen, Rolf; denn der König strecket auch über Grieshuus anitzo seinen Scepter, und er würd es Dir übel danken, so Du wider ihn gestritten hättest.« Es kam keine Antwort; er hat den Brief wohl nimmer erhalten. Aber ein mündlicher Gruß kam unerwartet durch einen Knecht, der unten in der Stadt gewesen war. Aus einer schwedischen Escadron Dragoner, so dorten auf dem Markte ihm vorbeigeritten, hatte er sich rufen hören: »Marten, Marten! Wie geht’s zu Hause?« und auf seine fast erschreckte Antwort: »Oh, alles gut, Herr!« nur noch: »So grüß! Ich komme bald!« Dann war die Escadron schon weit; aber der Knecht wußte nun, es war der Junker Rolf gewesen; er hatte ihn nur nicht gleich erkannt mit dem gekürzten Haupthaar und dem leichten Barte.
Solches erzählete mir der Vater, in Freuden halb und halb in Kümmerniß; denn itzo war ich fast jeden Nachmittag ein Stündchen auf Grieshaus. – Am vierundzwanzigsten Januarius aber – es wird das Datum nimmer aus meinem Herzen schwinden – stand ich noch spät abends in dem Schlafgemach der Tante Adelheid und schauete in den hellen Hof hinab und nach dem weiten Himmel, von wo der Mond und alle Sterne auf die Erde schienen. Die Tante vermeinete zu sterben, obwohl der Doktor sie noch ein Dutzend Jahre wollte leben lassen, und ich war, nachdem ich schon nach Haus gegangen, aufs neue geholet worden, um ihr das heilige Abendmahl zu reichen. Die Wachskerzen waren eben ausgethan; sie lag in ihrem Himmelbette und seufzete nach dem Junker, um ihm noch ein ererbet Uhrlein mit Kette in die Hand zu geben. Die alte Matten saß an ihrem Lager, aber das übrige Haus war schon zur Ruhe.
Da ich also in die stille Winternacht hinausschauete und mir beifiel, daß heut und übel Wetter doch nicht allezeit beisammen seien, hörte ich unten von der Thorfahrt her ein Rütteln an dem Eisengitter, das der Herr Oberst in dieser Zeit hatte davorsetzen lassen.
»Auf! auf!« rief eine Weiberstimme, und noch einmal und lauter: »Machet auf; ich bin es!«
Wer war das? Aber ich wußte es schon und ging mit raschen Schritten nach der Thür.
Die Tante rief kläglich aus ihrem Bette: »Will Er mich schon verlassen, Pastor?« Aber ich vernahm es kaum; ich eilte über den Hof
Weitere Kostenlose Bücher