Werke
noch nicht verwinden.
»Liebster Dirigent«, sagte ich, da auch mir des Abenteuers nun genug schien, »gedenkst du wirklich den fahrenden Sängerorden mit unserem einen Terzett gegen eine ganze Bauernhochzeit aufrechtzuerhalten?«
Er warf den Kopf zurück, und ein sieghaftes Lächeln flog über sein junges Antlitz; denn schwere Schritte und ein Klirren von Tassen und Löffelchen kam draußen die Stiege herauf. »Der Kaffee! Beim Zeus, der Kaffee!« rief er fröhlich; »du hast recht, Nordmann, wir müssen gehen!«
Und da erschien er und erfüllte das Zimmer mit seinem belebenden Morgenduft; eine dicke Magd trug ihn, die Familie folgte. »Nu, ihr Herre!« rief der Wirt, »was hent Se ausg’macht?«
Aber Franz erklärte, nicht ohne Feierlichkeit, daß eine Versammlung der fahrenden Sänger uns auf den Abend unabkömmlich mache.
Die Frau wollte sich nicht zufriedengeben; sie hatte die Augen immer noch auf unsern schmucken Dirigenten; der Wirt aber rief: »Nu, Weib, wenn’s emol net sei ka! Schenk dene Herre ihre Schale voll, se hent no en weite Weag z’mached.«
Ich glaube, nimmer noch hat mir ein Kaffee so geschmeckt, wie Wonne zog es mir durch alle Glieder; dann aber fragten wir nach unserer Schuldigkeit.
Die guten Leute wurden fast zornig, als Franz in frevlem Übermut den Finger auf den Tisch stützte und aufrechnend frug: »Drei Portionen Kaffee?«
Mir fiel das Herz dabei völlig – salva venia – in die Hosen; aber, Gott bewahre! Nur für die drei bestellten Pomeranzen, weiter waren wir nichts schuldig!
Unter vielem Dank und Händeschütteln verabschiedeten wir uns, und da wir nachzählten, waren noch fünf Kreuzer in unserer Reisekasse. Wir fühlten endlich, daß wir unsere Kräfte ausgegeben hatten, und gingen ohne viele Worte unseren Weg zurück; nur Franz sagte noch einmal wie zu sich selber: »Neun Kreuzer und ein Terzett!«
Etwa halb zehn Uhr vormittags langten wir in meiner Wohnung an. »Nicht einen Schritt weiter!« rief Franz und warf sich auf mein Sofa; »hier laß ich’s nachten und auch wieder tagen!« Ich warf mich, wie ich war, aufs Bett; ich glaube, es war die größte Müdigkeit meines Lebens. »Und du, Marx?« frug ich.
Er saß zusammengesunken auf meinem Klavierbock und sah hundselend aus. »Laß mich noch ein Viertelstündchen!« erwiderte er; »um zehn Uhr muß ich zur Klavierstunde!«
Wir suchten es ihm auszureden, aber er ging wirklich.
Wie ich später von dem Lehrer hörte, hatte er gerade damals vortrefflich gespielt; aber was es ihm an Nervenkapital gekostet, davon hat er nicht geredet. – Franz und ich schliefen, bis am andern Morgen früh die Hähne krähten.
So lebten wir im ersten Jahre miteinander zusammen in frischem Jugendübermut, jeder für sich in gewissenhafter Arbeit, Marx in peinlichster Pflichterfüllung. Im Winter wurde ein größerer Verein gestiftet – »Drehorgel« hieß er –, wo man einmal in der Woche im Wirtshaus zusammenkam; Zweck und Inhalt waren dieselben wie bei unsern kleinen »Versammlungen«, die aber deshalb nicht gestört wurden.
Von den drei Freunden hatte sich derzeit Marx am festesten an mich geschlossen; wir sahen uns fast täglich. Aber er war nicht eben ein bequemer Freund, obgleich er mit fast kindlicher Liebe an mir hing, denn das leiseste Wort konnte ihn verstimmen, er war von krankhafter Reizbarkeit; zumal seine Abhängigkeit von der Meinung anderer über ihn war völlig quälend. War ihm dergleichen zugekommen, dann, wenn er abends nach der Versammlung mich nach Hause geleitete, faßte er krampfhaft meinen Arm, zitterte und knirschte mit den Zähnen und redete unendlich und immer eifriger über die meist recht gleichgültige Sache. »Nicht wahr, du fühlst es! Du, du fühlst es doch auch, daß ich es nicht ertragen kann!« Ich hörte meist geduldig zu, oder mitunter hörte ich auch nicht, oder ich sagte: »Laß doch den Plunder, du könntest dich um drei Kreuzer noch ins Tollhaus reden.« Dann wurde er eine Weile still, aber es half doch nicht. Nie vergesse ich den Abend, da unser gemeinsamer Klavierlehrer, ein wahrer Vater seiner Konservatoristen, ihn in der Nachmittagsstunde, ich weiß nicht mehr wie, auf den Tod sollte beleidigt haben; der Mensch sollte ihm vor die Pistole, der Unterricht zum mindesten sollte aufhören! Ich entsinne mich noch, daß ich schließlich die Nachtklingel an einer Apotheke ziehen mußte, um Brausepulver für ihn zu kaufen, und daß ich ihn in seiner Wohnung selber noch ins Bett packte. Er
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