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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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machte die Sache anderntags auch wirklich beim Direktor anhängig, und der gute Professor schrieb ihm dann: »J’attends Monsieur Marx pour sa leçon de Vendredi, je lui promets de ne pas le manger et d’oublier même sa singulière façon de me mettre à la porte.« – Wir andern lachten, und so war dieser Fall geschlichtet.
    Marx hat mir einmal angedeutet, er sei, da er zum Musiker bestimmt gewesen, schon als Kind zu übermäßigem Klavierspiel angetrieben worden, er habe nachher oft seine kleinen Hände nicht stillhalten können; vielleicht lag hier der Urquell dieser Zustände. Überdies trank er den stärksten Kaffee, bevor er sich des Morgens ans Klavier setzte, und rauchte scheußlich schweren Tabak, den er sich in grünen Blättern von einer Muhme in Lahr zu holen pflegte. Nun war in den ersten neuen Frühlingstagen auch noch jener Seufzer: »Linele!«, den wir bei unsrer Sängerfahrt zum ersten Mal von ihm gehört hatten, zu einer vollgerechten Liebschaft ausgewachsen. Allmählich hatte er alles mir anvertraut: die allerliebste Tischlermeistertochter wohnte ihm gerade gegenüber, durch die Fenster hatten sie sich zuerst gesehen, dann angesehen, blutrot und unter starkem Herzschlagen, dann hatten kleine Handbewegungen und Blumentöpfe ein Verständnis vermittelt; er hatte ihr ein Konzertbillett gesandt und, nachdem endlich die ewige Musik zu Ende gewesen, das junge blonde Kind durch manche überflüssige Gassen nach ihrer Wohnung hingeleitet. In sein Notizbuch, das er mir eines Tages aufgeschlagen in die Hand drückte, hatte er das alles deutsch und französisch durcheinander hingeschrieben: »Sa robe flottante résonna comme une harpe éolienne! Und wie ich den schön geformten Arm an meinem Herzen fühlte! Es zitterte mir ins Gehirn hinauf, und alles Denken wurde ausgelöscht. Wenn ich nur wüßte, ob sie gleicherweis empfunden hat!«
    Es stand noch mehr in diesem Büchlein: »Am 2. Mai: Ich habe sie geküßt! Es ist zwar nicht zu glauben; aber es ist dennoch wahr.
    ›Wie kannst mi nur so lieb habe?‹ sagte sie.
    ›Weshalb nicht? Bist du nicht das süßeste Geschöpf zum Liebhaben?‹
    ›Ach, i weiß ja, i bin ja gar net schön!‹
    Da nahm ich das liebe Wesen und hielt es ein wenig von mir und sah sie an; ich hatte selbst noch nicht daran gedacht. ›Nein, Linele‹ – ihre Augen schienen von meinen Lippen lesen zu wollen – ›
schön
bist du wohl nicht; aber weißt du, was hübsch ist? Ich glaub, Linele, du bist
wunderhübsch
!‹
    Sie blickte mich ganz verworren an: ›Was sagst, Adolf? des verstand i net.‹
    Und das Gesichtel sah so reizend dabei aus.
    ›Wenn ich es nur versteh, herztausiger Schatz!‹ rief ich fröhlich und küßte sie zum zweiten Mal.
    ›Ja freili, Adolf; aber jetzt sei brav; gelt?‹
    Wo ist das Ende? Je ne pourrai jamais la laisser!«
    Aber diese Liebe ließ ihn seine Pflicht niemals versäumen; wie eine Madonna erfüllte das Linele die Phantasie des Liebenden; sie war ihm Antrieb und Wächterin für alles Gute. So konnte denn auch der Handel den nächsten Freunden nicht verborgen bleiben; wenn wir auf sein Zimmer zur Versammlung kamen, unterließ wohl keiner, einen Blick aus dem Fenster zu werfen, ob sich nicht etwa drüben der unschuldige Mädchenkopf bei der Gardine vorbeuge.
    – – Es war Mitte Mai, und die Dämmerung war eben angebrochen, als ich mit Franz und Walther zu Marx ins Zimmer trat; er stand vor seiner offenen Schatulle und kramte in einem Pappkasten, in dem er allerlei Zierlichkeiten und Schnurrpfeifereien zu bewahren pflegte; durch das offene Fenster sahen wir drüben die weiße Gardine sich bewegen.
    »Was machst du, Marx?« fragte einer.
    »Bitte, tretet ein wenig leiser!« sagte er, »ihr sollt mir singen helfen!« Dann nahm er drei kleine mit Rosen bemalte Wachskerzen aus seinem Schatzkasten, zündete sie an und klebte sie vor dem offenen Fenster auf die Fensterbank, wo sie bei der Stille der Luft ruhig weiterbrannten.
    »Was sind das für Anstalten?« frug Walther. »Was sollen wir denn singen? Ein Ave Maria?«
    Marx hob beschwichtigend seine Hand: »Setz dich ans Klavier, Walther; ihr andern stellt euch neben mich! – ›Es waren!‹« raunte er dann zu Walther hinüber.
    Wir wußten Bescheid; wir hatten seit unserer Sängerfahrt außer den »Tropfen von Tau« noch andere Lieder gesungen und brauchten keine Noten. Bald standen wir an Marx’ Seite vor dem Fenster, und in gedämpftem Tone klang das alte Lied in den Maiabend hinaus:
     
    Es waren

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