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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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zwei Königskinder,
    Die hatten einander so lieb,
    Sie konnten beisammen nicht kommen,
    Das Wasser war viel zu tief.
    »Ach, Liebster, kannst du schwimmen,
    So schwimm doch herüber zu mir;
    Drei Kerzchen will ich anzünden,
    Die sollen leuchten dir!«
     
    Unserem Marx standen die dicken Tränen in den Augen, er war völlig »verturnt«, wie wir zu sagen pflegten; er drückte uns allen krampfhaft die Hand und warf sich dann in eine Sofaecke; drüben aber hatte die Gardine sich nicht mehr geregt.
    Seit jenem Abend wurde das

    für uns vier zum Signal; wir sangen oder pfiffen es, sei es, daß einer den andern von der Gasse aus zum Spaziergang herabrufen oder ihm sonst nur von dort etwas nach seinem hohen Kämmerlein hinauf zu melden hatte.
    So gingen mehrere Monate hin; Marx war von höchstem Fleiße und gewann eine Innerlichkeit des Vortrags, die ich ihm zuvor nicht zugetraut hatte. Zwar im technischen Klavierspiel hatte er, vielleicht infolge jener verfrühten Übungen, mich schon lange überholt; er hatte begonnen, wenn wir allein waren, mir schwierige Sachen ohne Anstoß vorzuspielen; aber es war mir mitunter schwer erträglich geworden, denn ich meinte zu fühlen, daß ihm etwas fehle, das mit dem Kern und Urquell aller Musik zusammenhing, was ich selber in mir trug, aber derzeit wegen mangelnder Technik nicht zum vollen Ausdruck bringen konnte. Bei der Reizbarkeit des Freundes wagte ich lange kein Wort darüber gegen ihn zu äußern; als ich mich später dennoch dazu überwand, gab er es freundlich zu; nur einmal sagte er traurig: »Mais – cela restera, mon ami.«
    Jetzt aber wurde alles anders; namentlich mit Chopin ging er in den tiefsten Abgrund. Wie oft saß ich ihm nun zur Seite am Klavier, nur bittend, daß er es noch einmal und noch zum drittenmal spiele; endlich aber, wenn von der Gasse herauf der Wächterruf dazwischenklang, sprang er plötzlich auf, raffte seine Noten zusammen; und mich umarmend, rief er: »Genug, lieb Herze; da ist der Zuberklaus! Wie freut’s mich, daß du heut zufrieden warst!« Und ehe ich mich besonnen hatte, war er schon zur Tür hinaus; aber ich stieg doch langsam hintennach, um unten für ihn aufzuschließen. »Es waren zwei Königskinder!« hörte ich ihn dann noch einmal im Fortgehen auf der Gasse pfeifen.
    Auch das wurde wieder anders, oder vielmehr, es ging zurück; dieser glückliche Zustand, den ich in Gedanken »Linele« überschrieb, hörte auf. Wenn ich ihn bat, mir vorzuspielen, so hatte er immer einen andern Grund, es abzulehnen, und wenn es einmal geschah, so war es nur das Spiel von früher. Seine Stunden und Vorlesungen besuchte er zwar, aber er tat alles ohne innere Teilnahme; in der »Drehorgel«, wo er in den letzten Monaten am lebhaftesten die Register angezogen hatte, saß er jetzt schweigend mit gestütztem Kopf vor seinem Seidel. Ich sah das eine Zeit mit an; dann faßte ich einmal seine Hand: »Was ist dir, Marx? Du spielst seit einiger Zeit wieder so seelenlos, so wie ein Automat – ja so, als hättest du dein Linele verloren!«
    Da fiel er mir um den Hals: »Ich hab sie auch verloren!« Und nun erfuhr ich’s denn; seit einigen Wochen hatte das Mädchen den Fenstersitz vermieden; war sie einmal dagewesen, dann hatte sie seine ihr so wohlverständlichen Aufforderungen zu neuen Zusammenkünften mit traurigem Kopfschütteln abgelehnt; in der letzten Woche war sie völlig unsichtbar geblieben.
    »Und wo«, frug ich halb neckend, »hatte sie denn ihre Hand, als sie so hübsch ihr blondes Köpfchen schüttelte?«
    Seine Augen leuchteten auf, als habe er was Verlorenes gefunden. »Ihre Hand? Ja, die drückte sie auf die Brust.«
    »Siehst du«, sagte ich, »das Herz ist noch dasselbe; das andere sind nur Liebesirrwege; du mußt ihr wieder auf den rechten Weg helfen!«
    Aber er wollte es nicht zugeben. »Nein, Freund, es ist wie in unserem alten Liede:
     
    Das hört’ ein falsches Nönnchen,
    Die tät, als wenn sie schlief;
    Sie tät die Kerzen auslöschen,
    Der Jüngling ertrank so tief.«
    Und er starrte düster vor sich hin.
     
    »Marx!« rief ich, »ich fürchte nur, du selber bist das Nönnchen!« Denn er litt wie an prickelndem Ehrgeiz, so auch an einem gesellschaftlichen Hochmut; sein Vater war in den besten Familien ein geschätzter Mann und stand in freundlichem Verkehr mit ihnen; der Sohn hatte oft nicht ohne Gewicht zu mir davon gesprochen. Und jetzt liebte er eine Handwerkerstochter mit der ganzen Heftigkeit seines Wesens; ein sonst tadelloses

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