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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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das Kind den Geruch mag oder nicht.
    Clara, nicht das Kind. Eine weltberühmte Opernsängerin. Medea muss aufpassen, dass ihre Stimme bei dem rauen Wetter keinen Schaden nimmt.
    Sie sitzt an Claras Bett und lauscht ihren Atemzügen.
    Was für ein vergiftetes Leben sie geführt hat. Schuldgefühle, eine sinnlose Flucht, vergrabene Hoffnungen. Medea denkt, sie verdient das nicht. Dass Clara zurückgekommen ist. So viel Glück kann niemand verdienen.
    Sie ist alt, und viel Zeit bleibt nicht mehr.
    Medea weiß: Es ist Hybris, das eigene Leben planen zu wollen.

45
    Ich hatte drei Schüsse gehört. Meine Füße trugen mich über dicke Äste, Schlammlöcher, Dornengesträuch. Mein Haar verfing sich in den Zweigen eines Baumes. Zweimal stürzte ich der Länge nach hin, dann kam ich zu dem asphaltierten Weg und sah in der Ferne das weiße Haus mit dem roten Dach. Nach wie vor glänzte das Meer so blau, dass man seinem Namen nicht trauen wollte.
    Ich traf keine Menschenseele, während ich so schnell ich konnte weiterraste, bis ich auf einen Weg kam, der genau auf das weiße Haus zuführte. Die Bahnstation! Was ich für eine Villa gehalten hatte, war die Bahnstation! In diesem Land verbarg alles sein Gesicht.
    Ich stolperte über ein paar Stufen zum Bahnsteig, taumelte auf die Gleise zu. Da stand ein Zug, wartete. Ein Waggon aus Holz, alt und mitgenommen, am Auseinanderfallen, als könne man den Bolzen und Schrauben keine Minute länger zumuten, die Konstruktion zu tragen. Müde Menschen mit dunklen Haaren und dunklen Augen saßen auf Bänken und starrten durch verschmierte Scheiben ins Freie.
    Ein fünfter Schuss gellte hinter mir. Ich sprang in den Zug.

46
    Guga war dabei, seine Bewerbungsunterlagen zu sichten, nachdem er den dritten Verkehrsunfall im Umkreis von Sagaredscho an diesem Tag aufgenommen hatte. Weit war er in Sachen Clara Cleveland nicht gekommen. Natürlich ging ihn die Diva nichts an, und wie erwartet interessierte sich sein Vorgesetzter kein bisschen dafür, dass sie in einem Unfallauto ohne Fahrer gesessen war. Guga hatte einige Anfragen losgeschickt, nach gestohlenen Autos der Marke Opel geforscht und besaß nun eine Liste vermisster Wagen aus ganz Georgien. Doch irgendetwas bremste ihn. Er warf einen Blick auf sein Handy. Keine Anrufe.
    Beunruhigend.
    Er klickte im Internet herum, las ein paar Blogs und Reiseabenteuer von Leuten, die wegen der Aschewolke auf unbestimmte Zeit an Europas Flughäfen festhingen. Dann dachte er, bevor er den Tag vertrödelte, könnte er ebenso gut noch einmal zu Guram fahren.
     
    Der Alte saß an derselben Stelle wie vor zwei Tagen. Guga grüßte höflich.
    »Dich geht das nichts an!«, fuhr der Veterinär ihn an. »Verzieh dich.«
    »Ich dachte nur, man könnte sich ja mal unterhalten«, hielt Guga dagegen. Er war mit sechs älteren Geschwistern aufgewachsen, da musste man lernen, seinen Platz am Esstisch zu behaupten.
    Der Wolf lag zu Füßen des Tierarztes und blinzelte. Guga war überzeugt, dass es ein Wolf war. Das Tier bellte nie, zeigte kein Interesse daran, näherzukommen und sich streicheln zu lassen. Seine gelben Augen trieben Guga Gänsehaut über die Arme. Er wies auf die Apfelbäume und den Wein.
    »Machen Sie das alles allein?«
    Guram grinste. Er spie aus und fragte: »Willst du Tschatscha?«
    Guga nickte. Der Alte stand auf und ging ins Haus. Guga sah ihm nach.
    Sein Blick fiel auf den Türrahmen. Die Einschusslöcher waren frisch. Er ging näher und fuhr mit den Fingern darüber. Der Wolf hob den Kopf. Die Projektile steckten tief im Holz.
    »Ich habe ihn nicht umgebracht«, sagte Guram, sank auf den Mühlstein, stellte Schnapsflasche und zwei Gläser auf einen Baumstumpf und goss ein. »Hier.«
    Guga trank. Das Gebräu rann heiß seine Kehle hinunter.
    »Du willst wissen, wer er war, nicht?«, fragte Guram nach etlichen Minuten, die der Wolf dazu verwendet hatte, Guga mit seinem gelben Blick auf dem Klappstuhl festzunageln.
    »Ja.«
    Ächzend stand Guram auf und verschwand erneut im Haus. Als er wiederkam, saß die Drossel auf seiner Schulter.
    »Ihr Flügel ist in Ordnung«, sagte Guram. »Aber sie will nicht weg.«
    »Warum nicht?«
    »Weil sie noch nicht soweit ist.«
    »Wann wird sie soweit sein?«
    »Den Zeitpunkt kennt nur sie selbst.« Guram schenkte die Gläser wieder voll. »Hier. Der Typ hat sich vor Angst in die Hosen geschissen. Ich habe ihn rüber zum Waschhäuschen gelassen, damit er sich sauber machen kann.«
    Er reichte Guga eine Brieftasche.

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