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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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geht deine Version der Geschichte?«
    »Isolde hat Clara nicht ertragen. Aber sie brauchte sie – so wie du sagtest.«
    »Klar, meine Interpretationen sind messerscharf.« Juliane grinste. Ihr Gesicht sah grauenhaft schmal aus. Mich konnte sie nicht täuschen. Sie war am Ende ihrer Kräfte.
    »Isolde hatte Angst, Clara würde herausfinden, dass sie das Geld aus dem Chor abgezogen hat. Sie bekam mit, dass Mira und Clara sich noch einmal extra trafen. Kawsadse sagte so etwas. Sie wollte an jenem 29. März bei Clara im Hotel vorbeischauen. Von der Straße aus sah sie Mira und Clara im Bistro sitzen, vertieft in ein Gespräch.«
    »Und was sie nicht wusste, beunruhigte sie mehr als das, was sie wusste«, ergänzte Juliane. »Sie stellte sich alles Mögliche vor. Von wegen, worüber die beiden sprachen. Bildete sich ein, dass Clara alles herausgefunden hatte: Wo die veruntreuten Gelder hingegangen waren und warum ihre Verwandten sie nicht mehr einluden.«
    »Sag mal, hat Kawsadse dich auch angerufen?«, fragte ich verblüfft.
    »Ich kann denken, Kea. Mein Gehirn hat er ja nicht pulverisiert. Dieser Auftragskiller hat wohl ein paar Tausend von den Sponsorengelder eingeheimst. Damit er Mira um die Ecke bringt.«
    »Erzähl nur weiter.« Beinahe war ich sauer, um die Pointe gebracht zu werden.
    »Clara verschwand. Nicht, um Isolde eins auszuwischen oder zum heimlichen Schlag gegen sie auszuholen. Sondern einfach, weil sie ihr Leben satt hatte. Weil sie eine Auszeit brauchte. Sie simulierte einen Unfall und versteckte sich bei einem Schamanen, der seine bürgerliche Existenz mit dem Label Tierarzt rechtfertigt. Unterdessen war Isoldes Fähigkeit zu entschlossenem Handeln gefragt. Sie organisierte diesen abgedrehten Typen, der in seinem Leben wahrscheinlich nur in die Scheiße getreten ist, drückte ihm Kohle in die Hand und sagte: Sorg dafür, dass Mira nie mehr nach Tbilissi zurückkehrt.«
    »So muss es gewesen sein.« Ich nickte. Ich dachte an Mira, die weniger Glück gehabt hatte als wir. »Sie suchte einen Fahrer, der sie nach Wardsia brachte, und Isolde empfahl ihr diesen. Er heißt Akaki. Ein Flüchtling aus Südossetien.«
    »Kein Mitleid!« Juliane deutete auf den Verband an ihrer Schulter. »Doch wie konnte Isolde wissen, dass Mira einen Fahrer suchte?«
    »Sie müssen am Palmsonntag nach dem Konzert darüber gesprochen haben. Mira hatte ja keinen Grund, Isolde zu misstrauen.«
    »Was wollte sie bloß in Wardsia?«
    »Einen Ausflug machen? Einen weiteren Absatz ihrer Reportage zusammenkriegen, die sie immerhin ernähren würde?«, schlug ich vor.
    »So ähnlich hatte ich mir das alles vorgestellt«, seufzte Juliane. »Und jetzt will ich ein Bier.«
    »Du hast dir das vorgestellt?« Sie bluffte. Oder befand sich in einem Stadium der Hybris. Ich war bereit, ihr alles zu verzeihen. Solange sie lebte. Und zwar möglichst genauso lang wie ich. Oder länger.
    »Der Mensch denkt schweifend. Er denkt zwischen den Zeilen, träumt, probiert aus. In einem matten, abgeschwächten Bewusstsein vor dem Einschlafen kommen ihm spontane Verknüpfungen. Die weiche, alltägliche Seite des Denkens. Wir glauben nur immer, ihr keine Stimme geben zu dürfen, weil wir meinen, die Computer könnten es besser.«
    »Können sie nicht.«
    »Natürlich nicht, weil sie nach klaren Handlungsanweisungen, Befehlsketten und Algorithmen rechnen.«
    »Danke für die Belehrung. Wer hat meinen Computer in der Nacht in Bordschomi ausgeforscht?«
    »Vermutlich Akaki. Er ist ja der Mann, der sich im Hotel eingecheckt hat. Neben deinem Zimmer. Dadurch, dass wir nach Batumi gefahren sind, haben wir es ihm leicht gemacht.«
    »Meinst du, er war im Zug?«
    »Klar! Nichts leichter, als ein Zielobjekt in einem Nachtzug zu beschatten. Denk an 007!«
    Ich lachte. Das Lachen kitzelte meine Kehle und meine Augenlider. »Wer hat diese Drohnachricht ins Hotel geschickt?«, fragte ich und holte Atem. Weil ich sonst nicht mehr lachen, sondern weinen würde.
    »Nehmen wir an, es war Isolde. Oder dieser smarte Thomas hat tatsächlich eine Geliebte, die in dir schwere Konkurrenz gewittert hat.« Juliane schlug die Decke zurück und stand auf. »Ich gehe jetzt. Du hältst Nachtwache neben meinem Hotelbett. Vorher will ich in ein Restaurant und was essen. Chinkali. Schaschlik. Egal was, Hauptsache nahrhaft. Spuckt der Vulkan noch?«
    »Wie ein Verrückter. Sämtliche nord- und mitteleuropäischen Airports sind geschlossen.«
    »Super. Das bedeutet: Wir machen hier Urlaub,

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