Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
aus denAugen verloren, und das war mir recht. Daß der Frauen ängstliche UnbillAnlaß zu eiligen Besorgungen gab, sah ich genauso erleichtert, denn so war jeglicheAufmerksamkeit von mir abgelenkt. Ich nämlich –Wilhelm, ich stocke, davon zu beginnen! – als ich, aufgewühlt durch Lottens Bekenntnis, sie sei dem anderen versprochen, das Blitzen und Donnern schaute, hineinstarrte in die sich entladende Natur, als ich, anders als die Gesellschaft, nicht ins Innere, sondern hinaus auf dieVeranda trat, bemächtigte sich meiner einTaumel, dem ich ganz ausgeliefert war, und der mich zwang, den Naturmächten hohnzulachen, als seien Sturm,Wetter und Blitz nicht im mindesten so zerstörerisch als mein eigenes Selbst!Was ist des Menschen wahre Natur? Ist sein lichter, ehrfurchtgebietender Geist und alleVernunft, erworben durch Zeitalter des Menschheitsgeschlechts, nur durch ein nichtiges Etwas, dünn wie ein Blütenblatt, abgetrennt vom Urwüchsigen, dem Instinkt desTieres, der wildesten, unbändigsten Kreatur?Wohin zieht es mich,Wilhelm, wohin bin ich denn unterwegs?Was ist dies gefährliche Brennen, genährt aus eigener Seele, zugleichTeil einer Kraft, die ganz außer mir liegt? Sind es Dämonen, fragte ich, währendWind undWasser mich peitschten; wie soll ich mich ihrer erwehren, die Urgeister zurückdrängen in Sphären, denen sie entstiegen sind? Ich sah meine Hände,Wilhelm! zu Klauen gebogen, sah Haar wieTierfell auf ihnen sprießen. Ich hörte Laute aus meiner Brust, die nichts Menschliches hatten; keinen Hund, keinenVierbeiner habe ich je so grausig knurren und hecheln hören. Und da mir’s so wund und schmerzvoll war, riß ich den Kopf hoch, hielt mein Gesicht in den unendlichen Regen und rang ein verzweifeltes Heulen hervor, das mir Erleichterung schuf.
    So rasch wie sie gekommen, drehte meineVerwandlung sich in ihr Gegenteil um; ich fühlte mich schwach, elend, voll der widerstreitendsten Gefühle, zugleich aufs neu erfüllt von reinigenderVernunft. Mich an der Mauer vorwärtstastend, trat ich in den Lustsaal zurück und fand das Ballvolk bei geselligem Pfänderspiel. Furcht und Not hatten sich, wie das Gewitter selbst, verzogen. Manche Bemerkung hörte ich ob meiner nassenAufmachung und meines gezausten Haars; es kümmerte mich nicht. Ich machte mich auf die Suche nach Lotten und fand sie am Fenster. Der erquickendsteWohlgeruch warmer, feuchter Luft stieg dort zu uns auf. Sie stand auf ihren Ellenbogen gestützt, ihr Blick durchdrang die Gegend – hatte sie die Entgleisung meiner Selbst geschaut? Sie sah gen Himmel und auf mich, ihrAuge tränenvoll, und plötzlich legte sie ihre Hand auf die meinige. Da versank ich in dem Strom von Empfindungen, den sie über mich ausgoß, neigte mich auf ihre Hand und küßte sie unter den wonnevollsten Seufzern. Sah nach ihremAuge wieder – o edler Freund! hättest Du dieVerzückung in ihrem Blick gesehn, Du wärst wie ich hingestürzt zu Füßen der Einzigen – doch nur für einen Moment. Danach trieb’s mich fort, in die Nacht, dieVerklärung, die Einsamkeit.

Am 16. Mai.
    Mag mit mir werden, was will,Wilhelm, die Nacht nach dem Kuß hab ich in unheiliger Lebenslust hingebracht, trunken vor Natur, verliebt in die eigene Gier. In die frühlingsberauschte Maiennacht trieb’s mich, und obwohl Neumond ist undWald und Flure von keinem Stern beglänzt waren, sah ich,Wilhelm! ich sah, was Menschenaug zu schauen außerstande ist, sah denTaumel des nächtlichen Ringelreihns, Jagd und Flucht, die Lebenswildheit der Natur und denTanz des Sterbens. Meine Ohren sind seit der Begebenheit mit jener Magd noch tausendmal schärfer geworden, daß ihnen das Plustern des Uhus, eines Dachses Schnauben, selbst des Zweigleins Knacken vom andern Ende desTales nicht entgeht.Wie Hunde ihr Ohr in die Richtung aufstellen, aus der ein Laut kommt, richten auch meine Ohrmuscheln sich nach der Quelle des Schalls aus. Und gar dasAuge! wie schildre ich es? – Stell Dir, Freund, eine Spinne vor, die in rabenschwarzer Nacht in ihrem Netze hängt und auf Beute lauert. Stell Dir vor, du rittest vom Spinnennetz bis zur nächsten Bergkuppe davon, hieltest dort und wandtest dich um. Ein Zucken des Spinnenbeins, ein Zittern der Fäden, beim schwachen Licht, das modriges Unterholz erzeugen mag, ich konnte es sehen! DerWald war mir vertrauter Boden, ich hatte die Schuhe abgetan, barfuß sprang ich in gewaltigen Sätzen durchs Moos, auf Felsrücken und über Baumstrünke, fühlend, was Urkraft in uns

Weitere Kostenlose Bücher