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Werwelt 02 - Der Gefangene

Werwelt 02 - Der Gefangene

Titel: Werwelt 02 - Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Stallman
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Verheißungen von Liebe – in dieser Beziehung waren Charles und ich gar nicht so verschieden voneinander. Er hat sie auch geliebt, obwohl sie dem Alter nach seine Mutter hätte sein können.
    Eine Zeitlang gebe ich mich einem Menschentraum davon hin, wie ich in natürlicher Gestalt eine bis zur Raserei erregte Frau mittleren Alters liebe. Dann belächle ich mich selbst. Charles hatte solche Träume. Ich träume nicht. Meine Nackenhaare stellen sich auf, als ich am dunklen Ufer Menschen kommen höre. Es sind zwei Liebende, die einander mit den Armen umschlungen halten. Sie würden mich nicht einmal sehen, wenn ich mich auf meine Hinterbeine aufrichtete und winkte. Ich halte ihre Gestalten mit meinem Raumsinn fest, als sie vorübergehen und auf dem schmalen Streifen Sandes zwischen der Uferstraße und den Steinquadern der Bühne langsam kleiner werden. Kaum ein Lüftchen weht in dieser Frühlingsnacht, und das Wasser dehnt sich glatt wie ein schwarzer Spiegel, über den hin ich nach Norden gehen könnte, dem nächsten Zusammentreffen mit meiner Familie entgegen. Ich werde gehen, wenn der Mond aufgestiegen ist, wenn ich seinen milchigen Widerschein in diesem stillen schwarzen Boden sehen kann.
    Ich war früh am Abend in die Stadt gekommen, wie ein Bauernjunge, der den Dorfschönen den Rücken gekehrt hat, um in diesem Chaos aus Stein und Lärm neue, glitzernde Abenteuer zu suchen. In den finsteren Straßen der South Side fand ich junge Männer, die gewalttätig waren und einander voller Angst in der Dunkelheit bekämpften. Ich hörte, wie sie keuchten und fluchten, während sie mit eisernen Ketten und Holzknüppeln zuschlugen, mit Klingen zustachen, die im Licht der schwankenden Straßenlampen blitzten. In der Schwärze eines Parks dann, der nicht weit von hier ist, unter dem Standbild eines Mannes in einem langen Mantel, packte ich einen späten Spaziergänger an der Gurgel, daß er bewußtlos wurde. Ich schlüpfte in menschliche Gestalt, nahm mir genug an Kleidern und Geld, um ungefährdet die Straßen der Stadt durchwandern zu können. Die Läden boten nichts, was ich hätte haben wollen, die Restaurants und Kneipen waren düster, von Qualm und erstickenden Gerüchen geschwängert, von ohrenbetäubendem Lärm erfüllt, von emotionalen Schwingungen gerüttelt, die so mörderisch waren, daß ich einmal nach Verlassen einer solchen Spelunke in einer Hintergasse anhalten und mich übergeben mußte, selbst in dieser menschlichen Gestalt.
    Später verschnaufte ich in einem Kino und sah mir eine Geschichte von einem behaarten Wesen an, das Wolfsmensch hieß; es war sehr einsam und wünschte sich aus unerfindlichem Grunde, ein Mensch zu sein. Dieser Wolfsmensch war den Menschen offenbar an sinnlicher Wahrnehmungskraft in vieler Hinsicht überlegen, doch das war alles Schwindel. Er griff die Menschen aus keinem anderen Grund an, als weil er sie um ihre Gestalt beneidete. Ein ganz klein wenig konnte ich mich mit ihm identifizieren, denn ich lebe so wie er lebte, bewege mich heimlich unter denen, die mich töten würden. Ich schmeichle mir allerdings, wesentlich imposanter auszusehen als er mit seiner albernen Knopfnase und den kleinen nadelspitzen Zähnchen. Seine Abhängigkeit vom Einfluß des Mondes fand ich interessant, aber der Wolfsmensch selbst war nicht mehr als eine Erfindung, eine widerliche, winselnde Ratte, die nichts anderes verdiente als den Tod. Auf dem Weg aus dem Theater wurde mir klar, daß die Geschichte nur erfunden worden war, um die Tötung des Dings zu ermöglichen; sie zeigte keinerlei Verständnis für die wahren Geschöpfe der Nacht, die unter den Menschen wandeln.
    Wieder auf der Straße, machte ich Bekanntschaft mit einer anderen Art von Nachtgeschöpf. Als ich an einer dunklen Türnische vorüberkam, trat eine Frau heraus, die ihr Gesicht zu einem fratzenhaften Zerrbild der Weiblichkeit entstellt hatte, und bat mich um eine Zigarette. Auf meine Erwiderung, daß ich keine hätte, spürte ich, daß ihre Hand meinen Oberschenkel drückte, und da wußte ich, was sie war. Flüchtiges Interesse regte sich in mir, als ich mich der Geschichten erinnerte, die Charles gehört hatte, doch als sie sich mir annäherte, mich streichelte und sich an mich drängte, konnte ich ihren Körper riechen. Selbst in meiner menschlichen Gestalt konnte ich riechen, daß sie erst vor kurzem mit anderen zusammengewesen war. Und es lag auch etwas Krankes in ihrer Ausdünstung. Ich wich zurück.
    »Was ist denn, Süßer?«

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