Wesen der Nacht
den Hintern. Der Hüter ging neben mir zu Boden.
Fluchend tastete ich nach der Fackel und rappelte mich auf. Neben mir kam auch der Grauhaarige wieder auf die Beine. Ich achtete darauf, mich außerhalb seiner Reichweite zu halten. Mein improvisierter Knüppel mochte mir einen gewissen Schutz bieten, allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich ihn gegen einen Mann mit einem Messer richtig einzusetzen wusste.
Mein Blick richtete sich auf Cale.
Ich erstarrte.
Der Herzstein in seiner Brust schien in Flammen zu stehen. Brüllend vor Qual packte Cale sein Shirt. Halb riss er es sich vom Leib, halb verglühte es unter der Hitze, die der Herzstein aussandte.
Der Mond geht auf. Seine Stimme war ein schmerzerfülltes Keuchen in meinem Geist. Es ist so weit.
»N ein!« Ich wusste nicht, ob ich schrie oder flüsterte. Ob mir überhaupt ein Laut über die Lippen kam. Wir hatten unsere Gegner beinahe besiegt. Nur noch dieser eine trennte mich davon, in Cales Arme zu fliegen, ihn festzuhalten und zu küssen. Ihm all die Dinge zu sagen, die ich ihm sagen wollte. Doch uns blieb kein gemeinsamer Augenblick mehr vergönnt.
Der Hüter stürzte sich auf Cale. Der machte keine Anstalten, ihm auszuweichen. Stattdessen griff Cale in seine Brust und riss den in Flammen stehenden Herzstein heraus. Er schrie vor Schmerz und taumelte, fing sich jedoch im selben Augenblick wieder, in dem der Hüter zustieß. Das Messer bohrte sich in Cales Leib. Er zuckte zusammen, doch er wich nicht zurück, sondern packte den Hüter mit der freien Hand im Nacken und zog ihn zu sich heran.
Mit der anderen Hand presste er ihm den Herzstein in den vor Überraschung offen stehenden Mund. Das rote Glühen veränderte sich, wurde zu einem grellweißen Gleißen, das zuerst nur den Mund des Hüters erfüllte, sich aber mit jeder Sekunde weiter unter seiner Haut ausbreitete, bis es aussah, als stünde sein gesamter Körper in Flammen. Der Hüter schrie und versuchte den Stein auszuspucken, doch Cale hielt ihm den Mund zu. Das gleißende Licht fraß sich durch seine Haut an die Oberfläche, leckte in züngelnden Flammen darüber und arbeitete sich immer weiter voran, bis jeder Zentimeter seines Körpers bedeckt war. Dann, ganz plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, erloschen die Flammen. Für einen Moment war der verkohlte Leib des Hüters zu sehen, ehe er sich vollständig auflöste. Als hätte der Wind ein verbranntes Stück Papier erfasst, zerfaserte sein Körper in einzelne Rußpartikel, die durch die Luft wirbelten und nur langsam zu Boden schwebten.
»I hr habt mich reingelegt«, schrie Derek und sprang auf Cale zu. »D as ist der verdammte Dämon!«
Ich holte aus und zog ihm die Fackel über. Als das Holz auf Dereks Hinterkopf traf, bildete ich mir ein, das Geräusch selbst über den Lärm des Wasserfalls hinweg zu hören. Mit einem unterdrückten Laut sackte er zu Boden und blieb reglos liegen.
Cale ging in die Knie. Eine erschreckend große, blutige Lücke klaffte dort in seiner Brust, wo eben noch sein Herzstein gewesen war. Sein Leben. Ich ließ die Fackel fallen. Im nächsten Moment kniete ich neben ihm und hielt seinen Kopf in meinen Schoß gebettet. Es waren nicht länger Tricks Züge, in die ich blickte, dafür schien seine Kraft nicht mehr auszureichen. Stattdessen sah ich in Cales Gesicht. Sein wahres Gesicht. Blind vor Tränen strich ich über seine Wange. Ich spürte die Hornplatten unter meinen Fingerspitzen und sah das blaue Glühen in seinen Augen, das mit jedem verstreichenden Atemzug schwächer zu werden schien.
Ein Schatten legte sich über uns und als ich aufsah, blickte ich in Dads angespannte Züge. Drizzle hatte auch ihn von seinen Fesseln befreit, und während Dad Cale noch musterte, kletterte der Kobold an seinem Bein nach unten und lief auf Cale zu, der die klauenbewehrte Hand nach ihm ausstreckte.
Tränen liefen mir über das Gesicht. »E r stirbt, Dad. Du musst ihm helfen! Bitte!«
»D as kann ich nicht.« Dad schüttelte traurig den Kopf. »O hne seinen Herzstein…«
Weinend presste ich meine Stirn gegen Cales. Ich küsste ihn, dabei war es mir vollkommen egal, wie er aussah. Die Hornplatten, die Reißzähne und auch die Klauen, zu denen seine Hände geworden waren, störten mich nicht. Das alles war nicht wichtig. Ich wollte nur seine Nähe spüren, wollte bei ihm sein. Und ich wollte ihn, verdammt noch mal, nicht verlieren!
Drizzle stand neben Cales Hand. Ich wusste nicht, wie Kobolde über den Tod
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