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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John B. Keane
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versprach aber, sofort wiederzukommen, sowie die Schieferplatten da sein würden.
    Die Tage gingen dahin, von Florrie immer noch keine Spur. Es folgten Wochen und Monate, ohne dass sich etwas tat. Auf den Wiesen blühten die ersten Narzissen, in den Dornbuschhecken drängten sich die Knospen ans Licht, doch nach Florrie und den Schieferplatten hielt man vergeblich Ausschau.
    Ab und an schaute der Dachdecker vorbei und wollte wissen, ob das Baumaterial eingetroffen wäre. Er bot sich auch an, das Dach provisorisch mit Wellblech zu decken, doch davon wollten die Brüder nichts hören. Was würde Florrie dann denken? Sie hatten sich eingeredet, dass er krank geworden war oder einen schweren Unfall gehabt hatte.
    Nichts konnte ihr Vertrauen in Florrie erschüttern. Hatte doch Jack einen ganzen Tag mit ihm verbracht, ihn sozusagen von allen Seiten abgeklopft und sich davon überzeugt, dass er ein rundum feiner Kerl war. Der Sommer kam und ging, und Toms Schlafraum war immer noch den Elementen ausgesetzt. Er behalf sich mit einem Feldbett in der Küche. Die Brüder waren sich darin einig, dass es ein Vertrauensbruch wäre, das Dach decken zu lassen, bevor Florrie auftauchte. Und kommen würde er. Soviel stand fest.
    Oft kamen Nachbarn zu einem Schwatz zu Besuch, und immer noch hielt der eine oder andere der Brüder mitten im Gespräch inne, sowie von draußen ein Verkehrsgeräusch an ihre Ohren drang. »Pst, hört mal«, hieß es dann, »das könnte Florrie mit den Schieferplatten sein.«
    Er war es nie. In den Gehöften ringsherum wurde über die Geschichte nur noch gewitzelt. Wenn man ein Auto vorbeifahren hörte, hieß es nur noch: »Pst, horch mal. Das ist Florrie mit den Schieferplatten!«
    Über Jahre hinweg war der Ausruf bei den Jüngeren, die immer zu einem Lacher aufgelegt waren, ein nie versagender Spaß geworden. Das war gar nicht böse gemeint. Lustig machte sich niemand über die Fly-Lows. Sie waren angenehme Nachbarn, zutiefst religiös und hilfsbereit bis zum Letzten.
    Im Laufe der Jahre wurde in der Küche der Fly-Lows der Name Florrie immer seltener erwähnt. Nachts, wenn das Brummen eines Lkws im Schornstein widerhallte, warfen sich die Brüder zwar noch hoffnungsvolle Blicke zu, aber keiner verlor ein Wort. Jack litt am meisten unter der Enttäuschung. Die anderen hatten Florrie ja nicht so gekannt wie er. Möglicherweise hatten sie insgeheim ihre Zweifel oder hegten einen Verdacht, aber derlei Gedanken kamen für ihn nicht in Frage, schließlich hatte er den Mann leibhaftig erlebt, und so ließ er sich in seinem Vertrauen nicht beirren.
    Jack stellte sich alles Mögliche vor, was hätte passiert sein können. Florrie ging mit seinem Geld freizügig um. Vielleicht war das auch anderen Gästen in der Wirtschaft aufgefallen, die anständige Menschen ausplünderten. Vielleicht lag er schon längst irgendwo im Moor oder in einem Entwässerungsgraben und war am Verwesen. Wahrscheinlicher allerdings war es, dass er einen Unfall gebaut hatte. An ihrem gemeinsamen Nachmittag damals in Listowel hatte er ein gut Maß über den Durst getrunken. In Jack Fly-Lows Vorstellung war der arme Bursche tot und längst begraben oder aber hatte sein Gedächtnis verloren. Ihm waren schon Fälle zu Ohren gekommen, wo nach exzessivem Genuss von fragwürdigem Whiskey das Gedächtnis wie ausgelöscht war. Möglich war alles.
    Tom und Billy rangen sich zwangsläufig dazu durch, das Dach decken zu lassen. Das ganze Haus drohte in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Ein Zugeständnis machten sie — es wurden keine Schieferplatten verwendet. Stattdessen nagelte der Handwerker das Dach mit Wellblech zu. Die Reparatur erfolgte im Frühjahr. Im darauffolgenden Winter erlag Tom Fly-Low einer schweren Lungenentzündung. Die Brüder gaben dem Wellblechdach die Schuld und mieden den Raum nach Toms Beerdigung.
    Das nächste Frühjahr kam. Wieder verhieß der Schornstein das deutliche Brummen eines sich nähernden Lasters. Dem immer stärker werdenden Geräusch war zu entnehmen, dass er auf das Haus der Fly-Lows zusteuerte. Jack und Billy waren im Nu auf den Beinen, lauschten gespannt und wagten kaum zu atmen. Mit klopfendem Herzen öffnete Jack die Haustür. Draußen stand tatsächlich ein Lastwagen. Ein Mann kletterte aus der Fahrerkabine und kam heran.
    »Ist das Florrie?«, fragte Billy flüsternd den neben ihm stehenden Bruder. Jetzt war der Lkw-Fahrer fast bei ihnen angelangt. Jack Fly-Low zeigte keinerlei Regung, während Billy am

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