Widersacher-Zyklus 02 - Die Gruft
und redete ununterbrochen:
»Bleiben wir hier, Mommy?… Wie lange bleiben wir hier?… Ist das mein Zimmer?… Kann ich in diesem Bett schlafen?… Oh, guck mal, wie hoch wir sind … Man kann das Empire State Building von hier sehen … und da ist das Chrysler Hochhaus … Das ist mein Lieblingshochhaus, weil es spitz ist und oben auf der Spitze ganz glitzrig …«
Und so weiter und so fort. Gia lächelte bei der Erinnerung daran, wie lange sie sie drängen musste, bis Gia die ersten paar Worte sagte, und welche Sorgen sie sich in der völlig unbegründeten Annahme gemacht hatte, Vicky könne stumm sein. Jetzt wäre sie schon für eine Minute Ruhe dankbar.
Als die Fenster auf beiden Seiten der Wohnung erst einmal offen standen, begann die Luft zu zirkulieren und trug die alten Gerüche hinaus, um neue hereinzubringen.
»Jack, wenn ich hierbleiben soll, muss ich erst mal hier sauber machen. Ich hoffe, das stört niemanden.«
»Nein, es wird niemanden stören«, sagte er. »Ich muss nur noch ein paar Anrufe erledigen, dann helfe ich dir.«
Gia fand den Staubsauger, während er eine Nummer wählte, wartete und dann wieder wählte. Entweder es war besetzt oder niemand nahm ab, denn er legte auf, ohne ein Wort gesagt zu haben.
Die Reinigung der Wohnung nahm der größten Teil des Nachmittags in Anspruch. Gia genoss es, sich mit so einfachen Dingen wie Spüle schrubben, Schränke abwischen, Kühlschrank reinigen, Boden wischen und Teppich saugen zu beschäftigen. Die Konzentration auf den alltäglichen Kleinkram lenkte sie von der vagen Bedrohung ab, die sie über sich und Vicky spürte.
Jack wollte nicht, dass sie die Wohnung verließ, daher brachte er die Bettwäsche in den Waschkeller und wusch sie. Er konnte hart arbeiten und hatte keine Angst davor, sich die Finger schmutzig zu machen. Sie bildeten ein gutes Team. Gia stellte fest, dass es ihr gefiel, mit ihm zusammen zu sein, etwas, das sie noch vor ein paar Tagen heftig geleugnet hätte. Das sichere Wissen, dass er irgendwo an seinem Körper eine Waffe versteckt hielt und dass er zu den Männern gehörte, die bereit waren, sie zu benutzen, und die auch damit umgehen konnten, erzeugte nicht mehr den Widerwillen, der ihr noch vor ein paar Tagen bei diesem Gedanken gekommen wäre. Sie konnte es zwar nicht gutheißen, aber sie stellte fest, dass sie sich damit widerwillig sicherer fühlte.
Die Sonne stand schon tief im Westen über Manhattans Skyline, als sie schließlich das Apartment für bewohnbar erklärte. Jack besorgte in einem chinesischen Imbiss Frühlingsrollen, sauerscharfe Suppe, Spare Ribs, gebratenen Reis und Schweinefleisch süßsauer. In einer anderen Tüte hatte er einen Entenmann-Kaffeekranz. Gia fand, dass der Kuchen ein unpassendes Dessert zu einem chinesischen Essen war, sagte aber nichts.
Sie sah bei Jacks Versuchen zu, Vicky den Gebrauch der Essstäbchen beizubringen, die er aus dem Restaurant mitgebracht hatte. Der Streit zwischen den beiden war offenbar beigelegt. Sie waren wieder die besten Kumpel und der Schock des Morgens war vergessen – wenigstens für Vicky.
»Ich muss noch einmal weg«, sagte er, als sie den Tisch abräumten.
»Das habe ich mir gedacht.« Gia versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Sie wusste, sie waren gut versteckt in diesem Apartmentkomplex zwischen all den anderen Apartmentkomplexen – die sprichwörtliche Nadel in einem Heuhaufen –, aber sie wollte heute Nacht nicht allein sein; nicht nach dem, was sie am Morgen über die Pralinen und die Orange erfahren hatte. »Wie lange wirst du weg sein?«
»Das weiß ich nicht. Deswegen habe ich Abe gebeten, vorbeizukommen und zu bleiben, bis ich wiederkomme. Ich hoffe, es macht dir nichts aus?«
»Nein, ganz bestimmt nicht.« So wie sie Abe in Erinnerung hatte, schien er nicht ganz der Richtige als Leibwächter, aber besser als gar nichts. »Außerdem, wie könnte ich etwas dagegen haben? Er hat mehr Recht, hier zu sein als wir.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, meinte Jack.
»Ach?«
»Abe und seine Tochter reden kaum miteinander.« Jack drehte sich zu ihr um und lehnte sich mit der Rückseite gegen die Spüle. Er blickte über ihre Schulter zu Vicky herüber, die an einem Glückskeks mampfte, dann sprach er mit leiser Stimme und sah dabei Gia direkt an: »Du musst wissen, Abe ist ein Krimineller. So wie ich.«
»Jack …« Sie wollte darüber jetzt nicht reden.
»Nicht ganz so wie ich. Er ist kein Schläger.« Seine Betonung des
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