Widersacher-Zyklus 02 - Die Gruft
hattest.«
»Bei dem Grab unserer Eltern«, sagte er und sah ihr direkt in die Augen. »Ich schwöre, dass ich keinen Rakosh zu unserem Freund Jack geschickt habe. Es gibt Menschen auf dieser Welt, denen ich übelwill, aber er gehört nicht zu ihnen.«
Kolabati musste ihm glauben. Sein Tonfall war aufrichtig und es gab für ihn keinen heiligeren Eid als den, den er gerade gesprochen hatte.
Und da, eingebettet in Holzwolle, war das Ei. Als Kusum sich bückte, um es wieder zu verstauen, sagte er: »Außerdem, wenn tatsächlich ein Rakosh hinter Jack her wäre, wäre sein Leben keinen Paisa wert. Ich gehe aber davon aus, dass es ihm gut geht!«
»Ja, es geht ihm gut. Ich habe ihn beschützt.«
Kusums Kopf fuhr zu ihr herum. Schmerz und Wut wechselten sich auf seinem Gesicht ab. Er hatte genau verstanden, was sie meinte.
»Geh bitte«, sagte er mit leiser Stimme, als er den Blick und den Kopf senkte. »Du widerst mich an.«
Kolabati wirbelte herum und verließ das Zimmer, wobei sie die Tür hinter sich zuschlug. Würde sie von diesem Mann nie frei sein? Sie hatte genug von Kusum. Genug von seiner Selbstgerechtigkeit, von seiner Verbohrtheit, seiner Monomanie. Egal, wie gut sie sich fühlte – und in Bezug auf Jack fühlte sie sich gut –, er schaffte es immer wieder, dass sie sich mies und schmutzig fühlte. Sie hatten beide genug Grund für Schuldgefühle, aber die Buße für seine früheren Taten und Fehltritte und die Reinigung seines Karmas war bei Kusum zu einer Manie geworden. Und nicht nur sein Karma, sondern auch das ihre. Als sie Indien verlassen hatte – erst nach Europa, dann nach Amerika –, hatte sie gedacht, sie hätte das Band zwischen ihnen durchtrennt. Aber nein. Nachdem sie jahrelang keinen Kontakt miteinander gehabt hatten, war er auch hier aufgetaucht.
Sie musste sich damit abfinden: Sie konnte ihm nicht entkommen. Denn sie waren durch mehr als nur das Blut verbunden. Die Halsketten, die sie trugen, bildeten ein Band, das stärker war als die Zeit, stärker als die Vernunft und sogar stärker als das Karma.
Aber es musste einen Weg geben, sich von Kusum und seiner Dominanz zu lösen.
Kolabati ging zum Fenster und sah auf die grüne Fläche des Central Parks hinaus. Da drüben, auf der anderen Seite des Parks, war Jack. Vielleicht war er die Antwort. Vielleicht konnte er sie befreien.
Sie griff nach dem Telefon.
6
»Selbst der Mond hat Angst vor mir, Todesangst!
Die ganze Welt hat Todesangst!«
Jack war mitten im dritten Teil seines James-Whale-Festivals – Claude Rains begann gerade seine Schreckensherrschaft als Der Unsichtbare.
Das Telefon klingelte. Jack schaltete die Lautstärke des Fernsehers leiser und nahm ab, bevor der Anrufbeantworter sich einschaltete.
»Wo bist du?«, fragte Kolabatis Stimme.
»Zu Hause.«
»Aber das ist nicht die Nummer, die auf deinem Telefon steht.«
»Ach, darauf hast du also geachtet?«
»Ich wusste, ich würde dich anrufen wollen.«
Es war gut, das zu hören. »Ich habe eine neue Nummer bekommen und mir nicht die Mühe gemacht, das Schild auszuwechseln.« Tatsächlich hatte er das alte Schild absichtlich an seinem Platz gelassen.
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sagte sie.
»Alles, was du willst.« Fast alles.
»Bei der britischen Botschaft findet heute Abend ein Empfang statt. Würdest du mich begleiten?«
Jack dachte ein paar Sekunden darüber nach. Im ersten Moment wollte er Nein sagen. Er hasste Partys. Er hasste Gesellschaften. Und dann noch ein Diplomatentreffen … die überflüssigsten Leute überhaupt… eine schreckliche Vorstellung.
»Ich weiß nicht recht.«
»Bitte? Als persönlichen Gefallen? Andernfalls muss ich mit Kusum gehen.«
Er hatte also die Wahl, Kolabati zu treffen oder sie nicht zu treffen. Das war keine Wahl.
»Na gut.« Außerdem wäre es bestimmt ein Spaß, Burkes Gesicht zu sehen, wenn er zu dem Empfang kam. Vielleicht würde er sich dafür sogar einen Frack leihen. Sie machten eine Zeit und einen Treffpunkt aus – aus irgendeinem Grund wollte Kolabati nicht in Kusums Apartment abgeholt werden –, und dann fiel Jack noch etwas ein.
»Übrigens, wozu benutzt man Durba-Gras?«
Er hörte, wie sie am anderen Ende der Leitung heftig einatmete. »Woher hast du Durba-Gras?«
»Ich habe keines. Soweit ich weiß, wächst es nur in Indien. Ich wollte nur wissen, ob es für irgendetwas nützlich ist.«
»Es wird häufig in der traditionellen indischen Medizin eingesetzt.« Sie sprach
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