Widersacher-Zyklus 02 - Die Gruft
als diese mit Vicky zur Tür hereinkam. »Ich kann heute Abend nicht gehen.«
»Du musst«, sagte Gia und schlang ihr einen Arm um die Schulter. »Was ist mit der berühmten britischen Haltung passiert? Was würde Sir Albert denken, wenn du nur herumsitzt und Trübsal bläst?«
Nellie war Gia dankbar für den Versuch, aber eigentlich war es ihr ziemlich egal, was Sir Albert vielleicht gedacht hätte.
»Und was soll ich mit dem Kleid machen?«, fuhr Gia fort.
»Das Kleid gehört dir«, sagte Nellie einsilbig. Sie hatte nicht die Kraft, jemandem etwas vorzumachen.
»Nicht, wenn wir heute nicht ausgehen, dann nicht. Ich bringe es jetzt sofort wieder zu La Chanson zurück, es sei denn, du versprichst, dass wir gehen.«
»Das ist nicht fair. Ich kann nicht gehen. Siehst du das nicht?«
»Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Was würde Grace denken? Du weißt, sie würde wollen, dass du gehst.«
Würde sie das? Nellie dachte darüber nach. So, wie sie Grace kannte, würde die das tatsächlich wollen. Grace war immer dafür, den Schein zu wahren. Egal, wie schlecht man sich fühlte, man kam trotzdem seinen sozialen Verpflichtungen nach. Und man gab nie, niemals seine Gefühle preis.
»Tu es für Grace«, sagte Gia.
Nellie gelang ein schwaches Lächeln. »Na gut, wir werden gehen, obwohl ich nicht garantieren kann, dass ich tatsächlich die Haltung bewahre.«
»Du wirst dich schon gut schlagen.« Gia drückte sie noch einmal, dann trat sie zurück. Victoria rief aus der Küche nach ihr und wollte eine Orange geschält haben. Gia eilte zu ihr und ließ Nellie allein im Foyer zurück.
Wie soll ich das nur schaffen? Es war immer Grace-und-Nellie, Nellie-und-Grace, wie eine Person, immer zusammen. Wie soll ich nur ohne sie klarkommen?
Während Nellie die Treppe zu ihrem Zimmer hochstieg, fühlte sie sich sehr alt.
8
Nellie hatte versäumt, ihr den Anlass für den Empfang mitzuteilen, und Gia fand es auch nie heraus. Sie vermutete, es war ein Begrüßungsempfang für einen neuen hochrangigen Beamten der Botschaft.
Die ganze Sache war zwar nicht besonders aufregend, aber bei Weitem nicht so langweilig, wie Gia erwartet hatte. Harley House, wo die Veranstaltung stattfand, lag neben den Vereinten Nationen und ein paar Fahrtminuten vom Sutton Square entfernt. Sogar Nellie schien es nach einer Weile zu gefallen. Nur die erste Viertelstunde war hart für die alte Dame, denn kaum waren sie angekommen, waren sie auch schon von einer Traube Menschen umgeben, die sich nach Grace erkundigten und ihre Besorgnis kundtaten. Alle gehörten zu diesem inoffiziellen Club reicher Engländer mit Wohnsitz in New York, der »Kolonie in den Kolonien«.
Getragen vom Mitgefühl und der Ermunterung ihrer Landsleute lebte Nellie ein bisschen auf, trank etwas Champagner und begann sogar zu lachen. Gia klopfte sich selbst auf die Schulter, weil sie es ihr nicht gestattet hatte, diesen Termin abzusagen. Das war ihre gute Tat für diesen Tag. Für ein ganzes Jahr!
Und nach ungefähr einer Stunde fand sie, dass die Leute eigentlich ganz in Ordnung waren. Es waren alle möglichen Nationalitäten vertreten, alle gut gekleidet, höflich, freundlich, mit einem Sammelsurium von Akzenten. Das neue Kleid saß wie angegossen und sie fühlte sich sehr weiblich. Sie war sich der bewundernden Blicke bewusst, die ihr von einer beträchtlichen Anzahl der Gäste zugeworfen wurden, und sie genoss es. Sie hatte fast ihre dritte Champagnerflöte geleert – sie verstand nichts von Champagner, aber der hier war köstlich –, als Nellie sie am Arm ergriff und zu zwei Männern zog, die etwas abseits standen. Gia erkannte in dem kleineren der beiden Edmund Burkes, den Sicherheitschef der Botschaft. Der größere Mann hatte eine dunkle Hautfarbe und war ganz in Weiß gekleidet. Als er sich umdrehte, erkannte sie mit einem leichten Schreck, dass ihm der linke Arm fehlte.
»Eddie, wie geht es Ihnen?« Nellie reichte ihm die Hand.
»Nellie! Wie nett, Sie zu treffen!« Burkes nahm ihre Hand und gab ihr einen Handkuss. Er war ein stämmiger Mann um die fünfzig mit ergrauendem Haar und einem Schnurrbart. Er sah Gia an und lächelte. »Und Miss DiLauro! Was für ein unerwartetes Vergnügen! Sie sehen wundervoll aus! Erlauben Sie mir, Ihnen beiden Mr. Kusum Bahkti von der Indischen Gesandtschaft vorzustellen .«
Der Inder verbeugte sich leicht, reichte ihnen aber nicht die Hand. »Es ist mir ein Vergnügen, sie kennen zu lernen.«
Er war Gia auf den ersten
Weitere Kostenlose Bücher