Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
gibt es keine Notaufnahme und keine Hausbesuche.«
Alan ließ das unkommentiert. Das Thema stand auch so viel zu oft auf der Tagesordnung.
»Okay«, sagte sie nach einer Weile. »Wem hast du also diesen Hausbesuch abgestattet?« Im Laufe der Jahre hatte Ginny sich eine gewählte Sprache angewöhnt.
»Sylvia Nash.«
Sie hob die Augenbrauen. »Was hat sie denn? Herpes?«
»Zieh die Krallen ein, Liebes. Ich war wegen ihres kleinen Jungen da, der …«
Ginny fuhr hoch. »Warte mal! Du warst in dem Haus? Das Haus aus dem Artikel? Wie ist es? So wie auf den Bildern? Hat sie dich herumgeführt?«
»Nein. Ich wollte dir erzählen, dass ihr kleiner Junge Bauchschmerzen hatte und …«
»Hast du dir das Haus denn nicht angesehen?«
»Nur das Foyer und das Schlafzimmer des Jungen. Schließlich …«
Ginny zog eine Grimasse. »Oh, ich würde alles geben, um dieses Haus zu sehen!«
»Wirklich?«, fragte Alan mit sinkender Begeisterung. Es verlief gar nicht so, wie er erwartet hatte. Ganz im Gegenteil. Er beschloss, kein Risiko einzugehen. »Das ist aber schade. Hätte ich das gewusst, hätte ich ihre Einladung zu einer Party am Samstag angenommen. Aber ich sagte ihr, dass wir nicht könnten.«
Sie richtete sich im Bett auf die Knie auf und stemmte die Arme in die Hüften. » Was hast du getan?«
»Ich sagte ihr, dass wir keine Zeit hätten.«
»Wie konntest du das sagen, ohne mich zu fragen?«
»Ich habe mir nur gedacht, dass du nichts mit ihr zu tun haben willst. Schließlich hast du sie kürzlich noch – wie war das gleich? – ein Flittchen genannt.«
»Das will ich auch nicht! Ich will nur ihr Haus sehen! Du rufst sie morgen an und sagst ihr, dass wir kommen!«
»Ich weiß nicht, ob das geht, Ginny.« Sie hatte dieses Glitzern in den Augen, und ihm war klar, dass sie nicht mehr zu bremsen war.
»Natürlich kannst du das. Und wenn du nicht willst, rufe ich sie an.«
»Schon gut«, sagte er hastig. »Ich werde es tun.« Weiß Gott, was Sylvia Ginny am Telefon erzählen würde. »Ich dachte nur, du würdest nicht auf eine Party von jeman dem gehen wollen, die in deinen Augen ein Flittchen ist.«
»Aber möchtest du denn nicht gehen?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wenn ich mich recht entsinne, hast du sie ziemlich deutlich in Schutz genommen hast, als ich mich dermaßen über sie geäußert habe.«
»Das liegt daran, dass ich nicht alles glaube, was ich höre.«
»Alle wissen über sie Bescheid. Und schau nur, wie sie sich kleidet, die Art, wie sie die Männer bezirzt …«
»Bezirzt?«
»… und diese wilden Partys, die immer wieder in Schlägereien enden. Und sie nimmt bestimmt auch Kokain.«
»Wenn, dann weiß ich nichts davon.« Alan war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte nicht, dass Sylvia etwas Stärkeres als Champagner zu sich nahm. Er hoffte es.
»Du magst sie, nicht wahr?« Es klang wie eine Frage, aber es war keine. »Du hast doch nichts mit ihr, oder?«
»Ich kann es nicht mehr länger verbergen, Ginny!«, rief Alan. »Wir haben ein Verhältnis, seit dem Tag, an dem Lou uns miteinander bekannt gemacht hat!«
Ginny gähnte. »Das habe ich mir gedacht.«
Alan sah weg. Es war gut zu wissen, dass Ginny so viel Vertrauen zu ihm hatte. Verdiente er es?
Ja, entschied er. Absolut. In all ihren Ehejahren hatte er sie nie betrogen, obwohl er oft die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber Sylvia … Gott, sie zog ihn an! Sie war schön, aber sie war mehr als das. Unter all der Abgebrühtheit, die sie zur Schau stellte, war sie ein Mensch, bei dem er fürchtete, ihn lieben zu können, wenn er seinen Gefühlen freien Lauf ließe.
Obwohl er niemals mehr als einen Händedruck mit dieser Frau ausgetauscht hatte, konnte er nicht anders, als seine Gefühle für Sylvia als Betrug an Ginny zu sehen. Es war unbegründet, aber es quälte ihn.
Du kannst nichts dafür, wie du empfindest, sagte er sich immer; du bist nur dafür verantwortlich, was du mit diesen Gefühlen machst.
»Ich sehe trotzdem nicht ein, warum du immer für sie Partei ergreifen musst«, sagte Ginny.
»Jeffy wiegt eine Menge Sünden auf, welche es auch immer sein mögen.«
»Dieser seltsame kleine Junge, den sie aufgenommen hat.«
»Ja. Nur dass sie ihn nicht aufgenommen hat – sie hat ihn adoptiert! Das ist eine lebenslange Verpflichtung. Das gibt ihr bei mir eine Menge Pluspunkte, davon kann man lange zehren.«
»Nun, wie auch immer«, sagte Ginny und wollte damit offenbar das Thema Adoption vermeiden, indem sie
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