Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
Montreal. Acht Hells Angels wurden von einer Spezialeinheit der Polizei im »Holiday Inn Crown Plaza« nahe Montreal verhaftet. Die Beamten stellten bei dieser Aktion eine Todesliste mit Namen und Bildern potenzieller Opfer sicher. Eines der Bilder zeigte den kanadischen Vizepräsidenten der Bandidos, der nur wenige Tage zuvor einen Mordanschlag mit einem Bauchdurchschuss überlebt hatte.
Der Krieg tobte und allen Anstrengungen der Angels zum Trotz setzten die Bandidos sich mehr und mehr in Kanada fest. Am 1. Dezember 2001 wurden 45 weitere Anwärter zu vollwertigen Mitgliedern ernannt. Die zuvor geschwächten Reihen der Bandido Nation füllten sich wieder.
Dann bezog ein dritter international agierender Einprozenter-Club, der Outlaws MC, in Kanada Stellung gegen die Höllenengel und wurde in den Krieg hineingezogen.
Ein hochrangiger Führer der Outlaws in Kanada, der Präsident des Chapters London (Kanada), wurde wegen vierfachen Mordversuchs gegen vier Unterstützer der Hells Angels verhaftet. Viele Mitglieder dieses Chapters traten nach der Tat aus ihrem Club aus und liefen zu den Hells Angels über. Entweder waren die Männer mit dem Anschlag ihres Präsidenten nicht einverstanden gewesen oder sie fürchteten die Rache der Hells Angels. Verbleibende Outlaws schlugen sich öffentlich, wie zuvor schon in Skandinavien, auf die Seite des Bandidos MC und demonstrierten auf einer Motorradteilebörse in Kanada Einigkeit und Stärke. Sie sendeten damit ein klares Signal an die Hells Angels: Die Outlaws und die Bandidos marschieren weiterhin zusammen.
Auch die Justiz blieb an den Höllenengeln dran. Der Generalstaatsanwalt hatte sich in die Ermittlungen gegen Maurice Boucher festgebissen und legte Beschwerde gegen den Freispruch in der Mordsache an den zwei Justizbeamten ein. Er begründete seinen Einspruch mit der unzureichenden Belehrung der Geschworenen über ihre Rechte und ihre Pflichten. Das hatte Erfolg. 1,5 Jahre verbrachte der als unantastbar geltende Rockerführer in Untersuchungshaft, bis am 5. Mai 2002 das Urteil gesprochen wurde. Ganz Kanada schien den Atem anzuhalten und nahm Anteil an dieser Verhandlung. Maurice Mom Boucher warf sich an diesem Tag in Schale. Sollte es sein letzter großer Auftritt werden?
Er betrat den frisch renovierten Gerichtssaal in einem eleganten schwarzen Rollkragenpullover, einer cremefarbenen Sportjacke und Fußfesseln aus Stahl. Die kanadischen Zeitungen hatten im Vorfeld über seinen Zustand spekuliert: Manche beschrieben ihn als depressiv, was angesichts einer Isolationshaft als einziger Häftling in einem extra geräumten Flügel eines Frauengefängnisses auch nicht verwundert hätte. Andere Journalisten bezeichneten ihn als unterernährt, da er sich aus Angst, vergiftet zu werden, ausschließlich von verpackten Kartoffelchips ernähre. Doch der gefürchtete John Gotti der Biker ließ sich nichts anmerken. Er setzte sein bewährtes Politikerlächeln auf und winkte seinen Anwälten – die besten, die es für Geld zu engagieren gab – und den Bikerbrüdern im Saal zu. Dann setzten ihn die Justizangestellten in einen kugelsicheren Glaskäfig, den die Wachen nur »das Aquarium« nannten.
Der Richter legte sich in diesem Verfahren mit seiner Meinung sehr früh und unmissverständlich fest. Ausschlaggebend war die Aussage von Stéphane Gangé, einem der überführten Täter, der seine Beteiligung an beiden Morden an den Justizangestellten zugegeben hatte.
Der Staatsanwalt hob in dem Prozess hervor, dass in einer streng hierarchisch aufgebauten Organisation wie dem Hells Angels MC nur der Präsident einen derartigen Mordauftrag hatte erteilen können. Dieser überzeugenden Argumentation hat sich übrigens bisher kein deutscher Staatsanwalt und kein deutsches Gericht in Prozessen gegen die Hells Angels oder die Bandidos angeschlossen, obwohl die Organisationsstrukturen der OMCGs hierzulande identisch sind.
In den Schlussworten des Plädoyers forderte der kanadische Staatsanwalt die Höchststrafe. Die Geschworenen benötigten elf Tage, bis auch sie sich einig waren: schuldig im Sinne der Anklage.
Der Richter setzte mit seinem Strafmaß einen Schlusspunkt unter Bouchers kriminelle Karriere: lebenslänglich ohne die Möglichkeit, nach 25 Jahren Haft entlassen zu werden.
Dieses Urteil besaß gegenüber der Öffentlichkeit und den Medien eine große symbolische Bedeutung: Niemand steht über dem Gesetz. Auch kein allseits gefürchteter Präsident der Hells Angels.
Tod und
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