Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
vollzogen in mehreren Provinzen Kanadas den koordinierten Zugriff auf 77 Objekte der Hells Angels quer durch das Land.
Dem war eine mehr als vierjährige verdeckte Ermittlungsarbeit mit modernster Überwachungstechnik und dem Einsatz zahlreicher Informanten vorausgegangen. Die Behörden wussten, wo sie zuschlagen mussten und was sie zu suchen hatten. Die Razzien fanden in Clubhäusern der Hells Angels, in ihren Lokalen und Privatwohnungen statt. In einem ersten Angriff beschlagnahmten die Beamten eindrucksvolle Mengen an Geld und illegalen Gütern: zehn Kilogramm Kokain, 120 Kilogramm Marihuana, 2,7 Millionen US-Dollar und 8,6 Millionen kanadische Dollar (etwa sechs Millionen Euro) sowie 70 Schusswaffen. Außerdem zogen sie 28 Fahrzeuge und über 20 Gebäude, die sich im Besitz der Hells Angels befanden, ein. Die Behörden verhafteten gleichzeitig mehr als 150 Hells Angels und deren Unterstützer, allein 100 gingen ihnen im Großraum Quebec ins Netz. Die Haftbefehle warfen den Verdächtigen Drogenhandel, Verschwörung zum Mord und Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Bei nicht weniger als 117 der Inhaftierten lautete der Tatvorwurf Mord.
Die kanadische Zeitung Gazette schien den Hintergrund dieser erfolgreichen Aktion zu kennen und veröffentlichte zeitnah ihre Erkenntnisse. Die Behörden verfügten über zwei Informanten im Umkreis des Clubs. Den Hauptgewinn der Behörden stellte der ehemalige Sergeant at Arms des Charters Sherbrooke dar. Der Offizier der Hells Angels offenbarte den Justizbehörden sein gesamtes Wissen.
Die Polizei hoffte, alle Hells Angels der Provinz Quebec mit einem Schlag aus dem Verkehr gezogen zu haben. Selbst Verhaftungen in der Dominikanischen Republik und Frankreich resultierten aus der Arbeit der kanadischen Sonderkommission.
Den nächsten Schlag führte die Polizei in Calgary aus. In der Wirtschaftsmetropole, die an die Rocky Mountains grenzt und in der 1988 die Olympischen Winterspiele ausgerichtet wurden, nahm sie knapp 40 Hells Angels und Männer aus ihrem Umfeld fest, zusätzlich beschlagnahmten die Behörden elf Kilogramm Kokain und vier Kilogramm Marihuana.
Es folgte eine Reihe weiterer Razzien und Festnahmen im gesamten Land. Die Staatsgefängnisse füllten sich unaufhörlich, und das stellte die Justizbehörden vor neue, unerwartete Probleme. In ganz Kanada existierte kein Gerichtsgebäude, das die hohen Sicherheitsauflagen der bevorstehenden Mammutprozesse erfüllte. Dazu gesellten sich unlösbare sicherheitstaktische und logistische Probleme. Hunderte Gefangene mussten getrennt voneinander untergebracht werden, um Absprachen oder die Fortsetzung des Krieges in den Haftanstalten zu verhindern.
Ein juristischer Handel zwischen inhaftierten Höllenengeln und der Justiz brachte dann etwas Entspannung in die brenzlige Situation. 24 Beschuldigte legten gegenüber der Staatsanwaltschaft Teilgeständisse ab, handelten einen Deal aus und erhielten mildere Strafen.
Trotzdem sah sich die Justiz vor das Problem gestellt, Dutzende Gefangene aus unterschiedlichsten Haftanstalten unter großem personellen Aufwand und Risiko durch halb Kanada transportieren zu müssen. Der Staat entschied sich deshalb für die große Lösung: Die Behörden erbauten 100 Meter neben der Haftanstalt Prison de Bordeux in Montreal einen Gerichtskomplex, der den neuesten Sicherheitsanforderungen gerecht wurde.
Im benachbarten Gefängnis ließ der kanadische Staat noch bis zum Jahr 1960 die meisten der insgesamt 710 vollstreckten Todesurteile durchführen. Es entwickelte sich die makabre Tradition, jede Hinrichtung sämtlichen Insassen mit einem Glockenspiel anzukündigen. Der Glockenschlag ertönte sieben Mal durch alle Mauern des Gefängnisses hindurch, wenn ein männlicher Delinquent zum Galgen geführt wurde. War es eine Frau, ertönten zehn Schläge.
In dieser alten Haftanstalt, erbaut von 1908 bis 1912, war bereits der Großteil der beschuldigten Rocker inhaftiert. Die andernorts Eingesperrten wurden nun dorthin überführt. Um Anschläge oder Befreiungsversuche zu unterbinden, wurden das Gerichtsgebäude und das Gefängnis mit einem 100 Meter langen Tunnel verbunden. Auch die Sicherheit der Geschworen enwurde berücksichtigt. Um ihre absolute Anonymität zu wahren, saßen sie hinter verspiegelten Scheiben. Diese Sicherheit hatte ihren Preis. Den kanadischen Steuerzahler kosteten die Maßnahmen 16,5 Millionen Dollar.
Viele Beschuldigte waren nach der langen Untersuchungshaft nun auch bereit
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