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Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten

Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten

Titel: Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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Leben:

    Heute ein Habicht, gestern ein Eber,
    Welch wunderbare Instabilität! ...

    In Wildschweinrudeln war ich,
    Doch heute bin ich in einem Vogelschwarm;
    Ich weiß, was daraus wird:
    Ich werde wieder eine andere Form annehmen!

    Doch wie wunderbar diese Instabilität der bewußten irischen Vorstel-lungskraft auch erscheinen mochte, sie hatte auch ihre dunkle Seite, denn sie suggerierte unterschwellig, daß die Realität nicht verläßlich war, sondern unwillkürlich und substanzlos. Diese Weltsicht hat eine erschreckende persönliche Implikation: Ich selbst besitze keine feste Identität, sondern bin, wie alle Realität, im Grunde fließend – im Grunde substanzlos. Natürlich vermochten die Iren diese Vorstellun-111
    gen nichtdirekt auszudrücken. Bevor man sich über das Fehlen von Identität beschweren kann, muß man erst einmal ein Identitätsbe-wußtsein gehabt haben. Aber diese wunderbare und erschreckende
    Instabilität geistert praktisch durch jeden Satz der alten Literatur.
    Mit der Erfahrung, daß die Realität fließend ist, geht die Auffassung einher, daß die Welt voller versteckter Fallen ist, als wäre sie ein Wald mit unsichtbaren Gruben, in denen die Jäger-Götter kleine Tiere
    fangen. In einer anderen Geschichte, Die Zerstörung von Da Dergas Heim, wird der Held Conaire dessen Vater den Gestaltwechsel be-herrschte, von einem Vogel vor der Vogeljagd gewarnt. Der Vogel
    verwandelt sich in einen Mann und erklärt, er sei »Nemglan, der
    König der Vögel deines Vaters«. Nemglan sagt Conaire, daß er nach Tara gehen muß, weil er dort Hochkönig werden soll, daß aber während seiner Regentschaft

    die Vögel geschützt sein sollen, und dies sollst du immer beachten: Du darfst nicht Tara zur Rechten und Bregia zur Linken fortgehen; du darfst die gekrümmten Tiere von Cema nicht jagen; und du
    darfst nicht neun Nächte lang aus Tara fort sein; und du darfst die Nacht nicht in einem Haus verbringen, dessen Feuer nach Sonnen-untergang zu sehen ist und in das man von außen hineinblicken
    kann; und drei rothaarige Männer sollen nicht vor dir in das Haus eines rothaarigen Mannes gehen; und während deiner Regentschaft
    darf es keine Plünderung geben; eine Frau darf dich nach Sonnen-
    untergang nicht in deinem Haus besuchen; und du sollst den Streit zwischen zwei deiner Untertanen nicht schlichten.

    Kurz gesagt: Conaires Regentschaft ist verdammt, denn all diese
    Tabus kann er kaum beachten. Böse Mächte bemühen sich darum, daß
    er diese Tabus bricht, und arbeiten so an seinem unausweichlichen Untergang.
    Es gibt keinen Helden in der alten irischen Geschichte, der nicht irgendeinem Tabu zum Opfer fällt. Geis nennen es die Iren (gessa im Plural), ein Wort, das man vielleicht mit »Regel« übersetzen könnte.
    Wir kennen diese Regeln aus der Eisenzeit: von den Bodenminen und 112
    versteckten Sprengladungen der griechischen Mythologie her. Achilles wird eine Sehne, seine einzig verwundbare Stelle, zum Verhängnis; Ödipus’ Schicksal – daß er seinen Vater ermorden und mit seiner Mutter schlafen wird – erweist sich als unausweichlich, obwohl er alles tut, um ihm zu entgehen. Doch in den irischen Geschichten
    scheinen an jeder Kreuzung Fallen verborgen zu sein, und betrügerische Götter lugen hinter jedem Baum hervor. In einer solchen Welt, in der niemand hoffen kann, der Katastrophe zu entgehen, macht die
    Entscheidung des jungen Cuchulainn – für ein kurzes Leben und
    ewigen Ruhm – Sinn. Wir erinnern uns an die kalte Erkenntnis der
    Wahrheit im Gesicht des Sterbenden Galliers.
    Patrick konnte sich, zumindest imaginativ, in die Iren hineinversetzen. Für ihn ist die Welt genau wie für sie voller Magie. Man kann die Elemente anrufen – die Lichter des Himmels, die Wellen des Meeres, die Vögel und andere Tiere –, und sie werden einem zu Hilfe kommen, wie in der Beschwörung des »Brustharnisch«. Der Unterschied
    zwischen Patricks Magie und der der Druiden besteht darin, daß in Patricks Welt alle Wesen und alle Vorgänge aus den Händen eines
    guten Gottes kommen, der die Menschen liebt und ihnen Gelingen
    wünscht. Und obwohl dieses Gelingen am Ende steht – und deshalb
    Leiden nicht ausschließt –, hat sich die gesamte Natur, das ganze erschaffene Universum das Ziel gesetzt, dem Menschen Gutes zu
    erweisen, ihn zu lehren, zu unterstützen und zu retten.
    Patrick konnte diese Dinge überzeugend erklären. Er konnte einem
    versichern, daß alles Leid, wie anhaltend und

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