Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten
und sollte sich nie wieder erholen. Sogar das bescheidene Skellig Michael wurde wiederholt geplündert, sein harmloser Abt Etgal gegen Lösegeld verschleppt; doch er »verhunger-te in ihren Händen«, wie in den Annalen von Inisfallen zu lesen ist.
Glendalough wurde unzähligeMale geplündert und zwischen 775
und 1071 mindestens neunmal niedergebrannt. Bangor, Moville,
Clonfert, Clonmacnois, Brigids Kildare – alle wurden zerstört. Im Jahre 840 waren sogar die ausgedehnten Gebäude von Patricks Armagh bis auf die Grundmauern heruntergebrannt.
Als die großen klösterlichen civitates nach und nach den nicht auf-zuhaltenden Wikingern zum Opfer fielen, vergrub man hastig die
kostbaren Bücher und Metalle oder schickte sie ins Landesinnere an Orte, die – zumindest zeitweilig – sicherer schienen. Auf diesem Wege soll der größte aller überlieferten Evangelien-Kodizes, das Book of Kells, vom bedrohten Lindisfarne in das Landkloster Kells gelangt sein. Seit Beginn der modernen Zeit, auch heute noch, stößt immer wieder mal der Spaten eines Bauern auf einen verlorenen Schatz, wie den Kelch von Ardagh; oder bei einer Adelsfamilie, die durch Irlands
spätere traurige Geschichte den Rang von Bauern erlangt hat, wird ein durch die Jahrhunderte hindurch be- wahrter verwitterter Kodex
entdeckt, der so phantastisch ist wie der Cathach von Columcille.*
* Der Kelch von Ardagh wurde 1868 von einem Jungen aus Limerick entdeckt, der in der prähistorischen Anlage von Ardagh Kartoffeln rodete. Die Fundstücke waren unter einer Steinplatte in den Wurzeln eines Dornbusches versteckt. Wir wissen nicht ob sie während der Wikinger-Angriffe versteckt wurden oder zu der Zeit, als liturgische Gefäße von den Briten verboten wurden. Der Cathach von Columcille wurde in der Familie O’Donnell verwahrt. Er kam nach dem Verrat von Limerick mit einem flüchtigen O’Donnell nach Frankreich und kehrte im neunzehnten Jahrhundert nach Irland zurück. Die O’Donnells sanken zwar nie auf einen bäuerlichen Status, aber andere Bücher wurden sicher in solchen Familien aufbewahrt, die sie manchmal mehr wegen der ihnen zugeschriebenen Heilkräfte schätzten als wegen ihres anti-quarischen Wertes. Ein Reisender des siebzehnten Jahrhunderts berichtet von seinem Entsetzen, als das unschätzbare Book of Durrow von Bauern in Wasser getaucht wurde, um einen Heiltrank für ihre kranken Kühe zu würzen.
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In den Augen der Iren sprach sehr wenig für die Wikinger. Sie gründeten zwar Irlands erste richtige Städte wie Limerick, Cork, Wexford, Waterford und Dublin, aber sie zerstörten etwas, das niemals wiederhergestellt werden konnte. Als die Wikinger im frühen elften Jahrhundert vertrieben wurden, erholte sich die irische Gesellschaft insofern, als das normale Leben wieder zurückkehrte. Doch seine Position als kultureller Anführer der europäischen Zivilisation sollte Irland nie zurückerlangen. Es war wieder an den Rand gedrängt worden. Trotzdem war die irische Art bereits zum Treibmittel für die mittelalterliche Zivilisation geworden – die unbekannte Zutat, die das Brot von Europa durchdrang, es zum Aufgehen und Wachsen brachte -und
dazu, aus den humorlosen Begrenzungen der römischen Uniformität
und des klassischen Pessimismus auszubrechen.
Mit der nächsten Invasion durch die Normannen im zwölften Jahr-
hundert änderte sich nur wenig, denn die irischen Normannen über-
nahmen die irischen Gewohnheiten sehr viel schneller als die englischen Normannen, die mit der einheimischen sächsischen Kultur
verheiratet waren. Die Normannen wurden Hibernis Hiberniores, also irischer als die Iren selbst. Spätere Eindringlinge waren weniger aufgeschlossen. Im sechzehnten Jahrhundert rodeten die elisabethanischen Kolonialisten die irischen Wälder (um der aufsässigen Besitzlosen habhaft zu werden, die sich nach Guerilla-Art dort versteckten) und zogen auf freundliche Empfehlung des Dichters Spenser auch
Völkermord in Betracht. Im siebzehnten Jahrhundert setzten die
calvinistischen Cromwellianer die poetische Empfehlung beinahe in die Tat um. Im achtzehnten Jahrhundert entzogen niederdrückende
Strafgesetze den Katholiken die Bürgerrechte. Doch es bedurfte der Hungersnöte des neunzehnten Jahrhunderts, um den Iren den Rest zu geben. Etwa eine Million Iren starben zwischen 1845 und 1851 am
Hunger und dessen Folgen, während die Regierung Ihrer Majestät
zusah, und weitere anderthalb Millionen wanderten in dieser Zeit
aus, von
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