Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten
altes Manuskript, das in irischer Sprache und keltischer Schrift geschrieben war... Einige, er-zählte mir der Mann, habe er selbst hinzugefügt; einige habe er von seinem Vater und Großvater geerbt; und manche seien wahrscheinlich schon lange vor ihnen im Besitz seiner Familie gewesen. Ich
fragte ihn, was der Inhalt sei. »Es sind«, antwortete er, »die schönsten altirischen Gedichte, Geschichten von wunderbaren Begeben-
heiten und antike Abhandlungen; zum Beispiel die Übersetzung
einer Abhandlung von Aristoteles über einen Gegenstand aus der
Naturgeschichte.«
Wenn wir, die Menschen der Ersten Welt, als die Römer des zwanzigsten Jahrhunderts auf unsere Erde schauen, sehen wir manche Zei-
chen der Hoffnung und sehr viele der Verzweiflung. Die Technologie schreitet weiter fort und liefert uns die Wunder, die unsere Welt zusammenhalten: den Sieg über Krankheiten, die in allen Zeitaltern außer dem unseren verheerend waren, und in der Folge das Sinken
der Sterblichkeitsrate; Revolutionen im Ackerbau, die die stetig wachsenden Bevölkerungszahlen ernähren; die »Datenautobahn«, die es
bald ermöglichen wird, Informationen und Nachrichten so schnell
und vollständig zu übermitteln, daß die Erbauer der römischen Stra-
ßen – des ersten großen Informationssystems – fassungslos wären.
Doch das Straßensystem wurde unpassierbar, als das Reich von
Bevölkerungsexplosionen jenseits seiner Grenzen überwältigt wurde.
So wird es auch uns ergehen. Roms Untergang lehrt uns, was geschehen wird, wenn notleidende und rasch wachsende Völker, deren
Lebenswege und Werte kaum verstanden werden, gegen eine reiche
und geordnete Gesellschaft andrängen. Mehr als eine Milliarde Menschen in unserer heutigen Welt leben von weniger als 630 DM im Jahr, während die US-Amerikaner, die ein Fünftel der Weltbevölkerung
ausmachen, fünfzig Prozent des Weltvorkommens an Kokain kaufen.
Wenn sich die Weltbevölkerung, die sich bereits während unserer
Lebenszeit verdoppelt hat, Mitte des nächsten Jahrhunderts noch
einmal verdoppelt, kann niemand mehr hoffen, den katastrophalen
Folgen zu entkommen. Wir aber kehren diesen unangenehmen The-
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men den Rücken und beschäftigen uns mit den schöneren Aussichten
unserer technologischen Träume.
Was von unserer Zivilisation verlorengehen und was gerettet wer-
den wird, können wir nicht entscheiden. Keiner menschlichen Ge-
meinschaft ist es je gelungen, ihre Zukunft zu gestalten. Die Zukunft reift möglicherweise nicht in einem Vorstandszimmer in London,
einem Büro in Washington oder einer Bank in Tokio heran, sondern in abgelegenen Außenposten – einem freundlichen britischen Waisen-haus am Fuße der peruanischen Berge, einem Sterbehaus in einer
Seitenstraße von Kalkutta, das von einer einfachen albanischen Nonne geleitet wurde; in einem gelassenen französischen Ärzteteam am
Hungerrand der Sahara; einer Mission irischer Sozialarbeiter in Soma-lia, die sich an ihren eigenen Großen Hunger erinnern, einem Schwe-sternprogramm, das den Müttern von Strafgefangenen eines New
Yorker Gefängnisses helfen will – in irgendeiner unbeobachteten
Ecke, wo sich ein großherziger Mensch auf außergewöhnliche Weise
um Ausgestoßene kümmert.
Vielleicht ist die Geschichte immer in Römer und Katholiken – oder besser Universelle – geteilt. Die Römer sind die Reichen und Mächtigen, die die Dinge auf ihre Weise regeln und immer mehr haben
müssen, weil sie instinktiv glauben, daß sie niemals genug besitzen werden; die Universellen sind, wie ihr Name schon sagt, vielseitig und glauben, daß die gesamteMenschheit eine Familie ist und alle menschlichen Wesen gleichrangige Kinder Gottes und daß Gott für
alle sorgt. Das einundzwanzigste Jahrhundert, prophezeit Malraux, wird entweder ein spirituelles sein oder untergehen. Wenn unsere
Zivilisation gerettet werden soll – aber vergessen wir unsere Zivilisation, die, wie Patrick sagen würde, »sich im nächsten Moment auflö-
sen wird wie eine Wolke oder Rauch im Wind«, – wenn wir gerettet
werden, wird es nicht durch Römer geschehen, sondern durch Heili-
ge.
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Ausspracheregeln für die wichtigsten irischen Wörter
Obwohl das Irische heute normalerweise mit Akzenten geschrieben
wird, um lange von kurzen Vokalen zu unterscheiden, habe ich diese der Einfachheit halber weggelassen. Die folgenden Ausspracheregeln sind nur eine Auswahl. Das irische Ch wird, wie im Deutschen, Jiddi-schen oder
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