Wie die Libelle in der Wasserwaage
ich meine Rache bekommen! Außerdem kam mir ein Zusatzverdienst ganz gelegen. Animateure werden zwar nicht ganz schlecht bezahlt, aber man weiß ja, wie das ist, das Geld reicht eigentlich nie. Je mehr, desto besser. Blöd fand ich nur, dass Mario meinte, unsere Forderung pro Kunde und Bild sollte fünfhundert Euro nicht überschreiten. Die ganze Mühe, das Risiko, und alles nur für läppische fünfhundert Euro? Die neue Währung hatten wir erst seit geraumer Zeit, aber schon kristallisierte sich heraus, dass der Wechselkurs zur D-Mark nicht dem entsprach, was offiziell angegeben wurde, sondern ungefähr bei eins zu eins lag. Und fünfhundert Mark, das war nicht wirklich viel gewesen.
Daraufhin hielt er mir einen langen, philosophischen Vortrag, der im Wesentlichen darauf hinaus lief, dass man nichts übertreiben dürfe. Der Betrag dürfe keineswegs zu groß sein, um das Misstrauen der mitgereisten Ehefrau nicht zu erregen. Außerdem müsse sich das Geld problemlos am nächsten Geldautomaten beschaffen lassen. Erfolg verspreche hier einzig und allein die Ausgewogenheit, das rechte Maß, so wie die kleine Blase der Libelle in der Wasserwaage ruhig und mittig zwischen den Messlinien ausgerichtet sei, wenn alles gerade und perfekt sei. Halte bei allem, was du im Leben tust, immer die Libelle in der Waage , so lautete seine metaphorische Alltags-Philosophie, an der er mich in konspirativer Weise teilhaben ließ. Das wollte ich mir merken. Libelle in der Waage. Das hatte was. Ich hatte gar nicht gewusst, dass man die kleine, mit Flüssigkeit und einer Luftblase gefüllte Röhre in der Wasserwaage als Libelle bezeichnet. Allerdings hatten Wasserwaagen bis dato auch nicht zu meinen besonderen Interessengebieten gehört. Eine Libelle, wie zauberhaft! Ein filigranes, fast schwereloses Wesen der Lüfte, das für die Freiheit existiert, mit zwirbelig-wirbelndem Flügelflattern schwebend, und doch gefangen in einem starren, unflexiblen Handwerkerklotz, der Wasserwaage. War das das tiefe Geheimnis der menschlichen Existenz? Eine rastlose Seele in einem betonharten Gefängnis?
Er war sehr überzeugend und ich fand mich schließlich mit den fünfhundert Euro ab. Vielleicht ließe sich da ja auch noch insgeheim etwas dran machen. Das konnte ich gegebenenfalls alleine regeln. Männer dürfen alles essen, aber nicht alles wissen.
*
Gleich der Erste ging mir auf den Leim. Es war ein schwitzender, rotgesichtiger Fettsack aus dem Ruhrgebiet, und er ließ sich nur zu gerne in die Bar locken. Seine Frau, eine farblose Brünette mittleren Alters, pflegte auch im Urlaub früh zu Bett zu gehen. Nichts sprach gegen einen abendlichen Barbesuch.
Als er gegen halb zwölf eintraf, wartete ich schon. Ich nippte an meiner Margherita und schlug ihm vor, sich auch eine zu bestellen, aber er bevorzugte ein Bier. Typisch Arbeiter-Prolet aus dem Kohlenpott.
Schon rutschte er schwerfällig auf den Barhocker neben mir und legte seine dicke Pranke auf meine Schulter. Dabei versuchte er, mir tief in die Augen zu schauen, doch ich wich seinem Blick aus. Am Ende würde er dort noch Verrat entdecken, das Risiko war zu hoch. Mir fehlte ja auch die Routine. Ich musste meine Unsicherheit überspielen.
Um ihn abzulenken, fragte ich nach seinem Beruf und er hob an, mir von seiner leidenschaftlich geliebten Profession, der Versicherungsmakelei, zu erzählen. Bevor sich ein weiterer Makel, nämlich eine noch größere körperliche Annäherung, einstellen konnte, stellte Mario ihm das Bier unter die Nase, von dem er sofort gierig trank.
Ich hatte erwartet, dass es dann ziemlich schnell gehen würde. Aber weit gefehlt! Zwar verzog er kurz das Gesicht, meinte, ihm sei schwindelig und er würde wohl nicht so viel Alkohol vertragen. Doch dann redete er unbeirrt weiter auf mich ein und rutschte bedrohlich nahe heran. Ich hatte schon Angst, dass unser Experiment schief gehen würde und überlegte verzweifelt, wie ich mit heiler Haut aus der Nummer herauskommen könnte.
Doch dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, geschah es endlich. Der Riese klappte in sich zusammen. Zum Glück war Mario zur Stelle und fing ihn auf. Man glaubt ja nicht, wie schwer so ein betäubtes Monstrum ist! Das hatten wir uns deutlich einfacher vorgestellt. Nur mit äußerster Mühe gelang es uns zu zweit, ihn auf einen der Clubsessel zu hieven. Wir sahen uns an. Jetzt hieß es, handeln! Wir verschlossen die Kellerbar.
Keiner von uns wusste, wie lange diese K.O.-Tropfen wirken würden. Mario
Weitere Kostenlose Bücher