Wie die Libelle in der Wasserwaage
hingibt. Pfui Spinne. Ich hasse Teetrinker.
Nur, bitteschön, es gibt tatsächlich noch eine Steigerung! Der Typ mit der Hühnerbrust erklärte mir mit huldvollem Sendungsbewusstsein, dass dieses Wunder bewirkende Getränk aus Grünem Tee hergestellt sei, der mit Hilfe eines speziellen Pilzes fermentiert werde. Dieser Pilz bestehe eigentlich aus Hefen und irgendwelchen Bakterien, die sich im Tee vermehren und ihn in eine süßsaure Plörre umwandeln. Igitt! Wie widerlich ist das denn?
Das Zeug sei ungeheuer gesund, würde den Körper entgiften und entschlacken und das Immunsystem zu einem wahren Kraftprotz machen. Mir schlackerten die Ohren. Abgesehen davon, dass ich das alles gar nicht wissen wollte, wie um Himmels Willen sollten wir dem Teefetischisten seine Tropfen einflößen?
Die Antwort war einfach: gar nicht. Daraus ergab sich freilich ein neues Problem, nämlich, wie um alles in der Welt sollte ich aus der Nummer unbeschadet wieder herauskommen?
Ich ließ seinen Teevortrag über mich ergehen und dachte dabei fieberhaft nach. Dann war es so weit. Das letzte Wort über Tee war gesprochen und er rückte näher. Erst jetzt fiel mir auf, dass seine Hände bleich und genauso dürr wie der Rest des Typen waren. Sie bestanden im Wesentlichen aus knochigen Fingern, die wie Spinnenbeine wirkten. Und diese Spinnenfinger machten sich auf den Weg in meine Richtung. Hilfe!
Ich reagierte ganz instinktiv: Ich wich zurück. Aus dieser spontanen Reaktion entwickelte ich meine nicht minder intuitive Strategie. Scheinbar empört erinnerte ich die Hühnerbrust an seine Gemahlin, einer im Gegensatz zu ihm wirklich fetten Person mit abschreckenden roten Flecken auf ihrem Gesicht, dem Hals und der Brust, die aus ihrem zirkuszeltgroßen Badeanzug quoll. An meinen Animationen nahm sie nie teil, aber ich sah sie immer, wenn ich um Teilnehmer zu rekrutieren, lauthals „ATTACKE“ brüllend am Pool vorbeilief. Sie hatte ihren unglaublich aufgequollenen Leib stets auf der gleichen Liege platziert, die sie nach alt bewährter deutscher Spießer-Manier schon früh morgens vor dem Frühstück mit ihrem Badetuch zu blockieren pflegte. Hier lag sie den ganzen Tag im Schatten eines Sonnenschirmes und erhob sich nur zu den Mahlzeiten, von denen sie freilich keine ausließ.
Stets trug sie den gleichen, mit großen, grellbunten Blumen gemusterten Badeanzug und versteckte gnädiger Weise große Teile ihres ausladenden Körpers, wie die mörserklöppelförmigen Beine, unter einem dünnen, nicht minder bunten Strandtuch. Über ihrem Leib, der die Form eines überdimensionierten, beulenwerfenden Kartoffelsackes hatte, lugte ein erstaunlich kleiner, runder Kopf hervor, gekrönt von einer rötlichen, offensichtlich mit Hilfe eines Kochtopfes zurechtgeschnittenen, kurzen, platten Un-Frisur. Selten hatte ich eine so abgrundtief hässliche Frau gesehen. Nicht auszudenken, wie sie und die Hühnerbrust den Liebesakt vollzogen. Auf ihr würde er hoffnungslos versinken, und unter ihr wie von einer Dampfwalze zerquetscht. Grässlich!
Doch Ehe ist Ehe und Moral bleibt Moral. So hielt ich der Hühnerbrust einen sittenstrengen Vortrag über Tugend, Anstand, Ehre und Treue. Zunächst versuchte er gegenzusteuern, wozu denn hatte ich ihn unter dem alles vertuschenden Schatten der Nacht in die Bar bestellt? Aber geschickt und schlau wie Schlange drehte ich den Spieß herum und behauptete frech, sehr wohl seine finsteren, ehebrecherischen Absichten erkannt zu haben und ihn auf diesem Wege ganz absichtlich einbestellt zu haben, um ihn und sein düsteres Vorhaben vorzuführen, ihn zu läutern und auf den Weg von Redlichkeit und guter Sitte zurückzuführen. Das wirkte. Er verabschiedete sich recht schnell, griff seinen scheußlichen Tee und verschwand. Für den Rest seines Urlaubs nahm er nicht mehr an meinen Animationen teil.
*
Doch es blieb nicht bei dieser einen Panne. Der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht , hatte meine Großmutter in ahnungsvoller Voraussicht gesagt. Sie war eine nicht sonderlich herzliche, dafür aber umso korrektere Person gewesen. Was Mario und ich taten, hätte sie aufs Entschiedenste verurteilt. Unrecht gut gedeihet nicht , hätte sie dazu gesagt. Sie hielt nämlich für jede, absolut jede Lebenssituation das passende Sprichwort parat. Manchmal kam es mir vor, als rede sie nur in solchen Sentenzen. Als sei ihre ganze Sprache reduziert auf diese vorgefertigten Elemente, die sie wie Kommunikationsbauteile zu Sätzen aneinander
Weitere Kostenlose Bücher