Wie die Madonna auf den Mond kam
mit dem ich nicht gerechnet hatte. Während ich hoffte, der Stock möge mich verfehlen, schnellte Fritz hoch. Er griff Barbus Arm und hielt ihn fest umklammert. Mit kaltem Blick sprach Fritz ruhig, fast flüsternd: »Schlag zu! Schlag meinen Freund, wenn du willst, dass dir mein Vater das Leben zur Hölle macht.«
Ich verstand die dreiste Drohung gegenüber der Lehrerin nicht. Sie bewahrte mich zwar vor Hieben, doch schien sie mir ungeheuerlich. Erschrocken wandte sich die Barbu von mir ab und wurde käseweiß. Fritz ließ ihren Arm los, und für einen Moment sah es aus, als ließe auch sie ihren Haselstock sinken. Doch sie schlug zu. Immer wieder drosch sie auf Fritz ein. Nicht wütend, eher verzweifelt. Das war mein Eindruck. Fritz blieb einfach nur stehen. Ohne einen Mucks. Er grinste, während sie glühte wie ein Puter. Dann brach der Stock, und sie ließ erschöpft von Fritz ab.
Als ich am Ende der Schulstunde meinen Tornister ergriff, um nach Hause zu gehen, rief sie: »Botev! Du, du wirst eine Stunde nachsitzen! Abschreiben!« Mit der harmlosen Strafe hatte meine Lehrerin keinen Befehl ausgesprochen, sondern eine Bitte.
Ich flätzte mich auf eine Bank des leeren Klassenzimmers und registrierte, die Barbu war aufgeregter als ich. Sie schritt vor der Tafel auf und ab, und ihre Hände spielten mit einem Stück Kreide. Schließlich äußerte sie mit gekünstelter Strenge, es sei ihr keineswegs entgangen, dass der Unterricht mich anöde und mich in meinen Möglichkeiten weit unterfordere.
»Sag en Sie, was ich abschreiben soll?«, maulte ich.
»Du musst nichts abschreiben.«
»Und was soll ich dann hier?«
Die Lehrerin schluckte, blickte zur Decke und kaute auf ihren Lippen, als wollte sie verhindern, dass ihr ein unbedachtes Wort herausrutschen könne.
»Pavel, ich dachte, du und Fritz, ihr seid Freunde. Und vielleicht, ich meine, Fritz' Vater ist ... « Sie hielt sich die Hand vor den Mund und verstummte.
Ich wurde frech. »Du hast bloß Angst vor Herrn Hofmann!«
Die Kreide zwischen ihren Fingern zerbrach, und weißer Staub rieselte auf ihr blaues Kleid.
»Ja«, antwortete sie. »Ja, Botev, eure Barbu hat Angst.«
Ich biss mir auf die Zunge. Es brauchte eine Weile, bis ich ein bestürztes »Aber, aber warum denn?« stammelte. »>Mein Vater wird dir das Leben zur Hölle machen.< Was hat Fritz damit gemeint? Ich dachte, er spuckt nur große Töne. Das macht Fritz doch immer. Immer die dicke Lippe. So ist er halt.«
Angela Barbulescu sah aus dem Fenster. »Fritz wird wie sein Vater.« Mehr sagte sie nicht, doch es reichte mir, um zu verstehen: Ich war ein Junge von fünfzehn Jahren und kein Mann. Was mich von den Erwachsenen trennte, war das Wissen um Geheimnisse, von denen ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte.
»Dein Nachsitzen ist beendet«, sagte sie plötzlich.
Ich machte keinerlei Anstalten aufzustehen. »Herr Hofmann wird Ihnen nichts antun«, brach es aus mir heraus.
Sie lachte gequält. »Und du wirst mich schützen. Das ist lieb gemeint, Junge. Besser, du gehst jetzt nach Hause.«
»Nein! Ich gehe erst, wenn Sie sagen, warum Sie vor Herrn Hofmann Angst haben!« Mich überraschte die Festigkeit meiner Stimme.
»Glaub mir, Pavel, dazu bist du zu jung.«
Ich bückte mich und nahm ein Stück der zerbrochenen Kreide. »Stimmt. Ich bin jung. Genau wie Fritz. Doch um eine Lehrerin vor Angst erbleichen zu lassen, so weiß wie diese Kreide, dazu ist Fritz wohl alt genug.«
Sie sah mich an. »Nicht hier. Nicht in der Schule. Besuch mich heute Abend. Wenn es dunkel ist. Und sprich darüber mit niemandem.«
Unter dem Vorwand, noch bei Fritz Hofmann vorbeizuschauen, ließ ich meine Mutter, Tante Antonia und Großvater Ilja am Abendbrottisch sitzen. Im Schatten der Dämmerung schlenderte ich die Dorfstraße hinauf. Kurz vor dem Hoftor der Hofmanns drehte ich mich um, sah niemanden und duckte mich blitzschnell rechter Hand an die Mauern der Wehrkirche. Hinter der Kirche, vorbei am Friedhofshügel, eilte ich in entgegengesetzter Richtung zum unteren Teil des Dorfes, wo in der Holzkate gegenüber den Zigeunern die Barbu wohnte.
Ich hatte noch nicht geklopft, da öffnete sie schon die Tür.
Ich trat ein und zog mir, wie es sich beim Betreten fremder Häuser gehörte, die Schuhe aus. Sie nahm mir die Jacke ab, führte mich in ihre überheizte Stube und bat mich auf ihr Sofa. Zu meiner Überraschung trug sie nicht ihr dunkelblaues Schmuddelkleid wie noch am Morgen in der Schule. Sie hatte ein frisches
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