Wie die Madonna auf den Mond kam
nahm dankend an.
»Ist bestimmt eine wichtige Sache in dem Paket«, meinte Opa und hatte dem Austräger das Stichwort gegeben, angestauten Dampf abzulassen.
»Gott sei Dank! Die letzte Lieferung. Dreihundert Dorfschulen in zwei Wochen, ich sag Ihnen, das geht auf die Knochen. Da knackt das Kreuz. Und dieses Sauwetter. Geschlagene zwei Stunden hat mich die Gurkerei in dieses Nest gekostet. Dreimal ist mir der Diesel im Schlamm verreckt. Dreimal! In der Verwaltung meckern sie rum, wenn ich meine Termine nicht einhalte, aber dass die Straßen hier oben ein Witz sind, das sagt dir keiner. Löcher wie Bombenkrater.«
Ich hatte nur mit halbem Ohr zugehört, als der Kurier von einem neuen Kronauburger Parteisekretär sprach, ein fähiger Mann mit Zukunft, dessen Porträt in allen Schulen des Bezirks aufzuhängen sei. Ich meine, an diesem Nachmittag erstmals den Namen Stefan Stephanescu gehört zu haben. Der Kurier jedenfalls ließ durchblicken, der neue Sekretär sei keiner dieser aufgeblasenen Parteifritzen, keiner dieser Klugscheißer, die alles wissen und von nichts eine Ahnung haben.
Die Barbu verzichtete auf die Landeshymne. Stattdessen öffnete sie das graue Paket und packte ein gerahmtes Bild aus. Obwohl es handwerklich geschicktere Burschen gab, bat sie ausgerechnet mich, das Bild an die Wand zu nageln. Rechts neben den energisch dreinblickenden Präsidenten Gheorghiu-Dej, den die Männer aus Baia Luna hinter vorgehaltener Hand respektvoll »den kleinen Stalin« nannten. Mürrisch ging ich nach vorn und stieg auf einen Stuhl. Unruhe machte sich in der Klasse breit. Angela Barbulescu reichte mir einen Hammer und ein Porträt in mattgoldenem Rahmen. Ich beugte mich hinab, um die Fotografie entgegenzunehmen. Mich wehte der gleiche Duft von Rosen an wie an dem schrecklichen Abend auf dem Sofa in ihrer Wohnstube. Sie flüsterte mir etwas zu. Ich begriff die Wucht ihrer Worte nicht sogleich. Zwei knappe Sätze nur. Trotz des Stimmengewirrs vernahm ich sie deutlich. Ihr Sinn jedoch entfaltete sich erst zeitverzögert. Ich hielt das Bild hoch, um zu schauen, wo ich den Nagel ansetzen musste. Dann erkannte ich, wen ich an die Wand heften sollte.
»Schick diesen Mann zur Hölle! Vernichte ihn!«
Der Hammer rutschte mir aus der Hand und knallte auf meinen Zeh. Ein stechender Schmerz durchzuckte mich. Ich fiel vom Stuhl. Die Klasse tobte vor Schadenfreude.
Schick diesen Mann zur Hölle! Vernichte ihn!
Ich kannte die Person auf dem Bild. Ich hatte den Mann, der mich mit gewinnendem Lächeln anblickte, schon einmal gesehen. Nur glänzte sein Haar jetzt nicht pomadig, und die Krawatte saß korrekt an ihrem Platz. Am unteren Bildrand war der Spruch abgedruckt: »Kinder sind unsere Zukunft.« Es war der Mann mit den vielen Verlobten. Der Mann, für den die Barbu in glücklicheren Zeiten ihren Kussmund gespitzt hatte. Der Mann, den sie aus dem Foto herausgebrannt hatte, dessen verbliebene Hälfte in meinem Zimmer im Kapital von Karl Marx steckte.
»Ruhe! Gebt Ruhe!«, rief die Barbu und riss mich aus der Starre des Erschreckens. »Dieses meisterhafte Porträt verdanken wir dem Auge eines Fotografen, der es in der Kunst der Lichtbildnerei weit gebracht hat. Sehr weit. Wie ihr wisst, wird auch sein Sohn Fritz schon bald seinen Weg in die Welt der Erwachsenen finden müssen und vielleicht sogar eines Tages in die Fußstapfen seines Vaters treten.«
Die Augen der Klasse flogen auf Fritz Hofmann. Er lehnte sich langsam zurück und tat so, als müsse er gähnen. Mit dem Ausruf »Bravo, Bravo, Bravo!« klatschte er in die Hände. Die Barbu überging die Provokation und erklärte, bei der Person handele es sich um den neuen Parteisekretär von Kronauburg, Doktor Stefan Stephanescu, ein an der Universität der Hauptstadt mit Ehren promovierter Fachmann in Wirtschaft und Verwaltung.
»Aber merkt euch: Nicht alles, was in einem Rahmen glänzt, ist Gold.« In der Klasse wurde es still. »Das Echte vom Falschen zu unterscheiden«, fuhr sie fort, »das ist eine Aufgabe, die große Klugheit verlangt. Herz und Verstand. Vielleicht wird Doktor Stephanescu eines Tages auf einen Menschen treffen, der dieser Aufgabe gewachsen ist.«
»Amen!«, rief Fritz.
Ich schlich mit blau geschwollenem Zeh zurück an meinen Platz. Verwundert registrierte ich, wie sich mein Entsetzen verflüchtigte und einer mir unbekannten Klarheit wich. »Vernichte diesen Mann!« Diese Aufforderung hatte mich von den Beinen gerissen, aber ich stand wieder, gefasst und
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