Wie die Madonna auf den Mond kam
und luftiges Sommerkleid mit gelb leuchtenden Sonnenblumen angezogen. Es verströmte den Duft eines Rosenfeldes. Die Stube wirkte wider meiner Erwartung aufgeräumt und reinlich. Dennoch fühlte ich mich unwohl. Auf einem runden Brokatdeckchen auf einem Couchtisch brannte eine Wachskerze. Daneben stand eine angebrochene und verkorkte Flasche Zuika. Ein Glas entdeckte ich nicht. Neben der Flasche lag aufgeschlagen, mit den Seiten nach unten, ein zerlesenes Buch. Ich griff danach, um irgendetwas zu tun. Es waren Gedichte Mihail Eminescus.
»Darf ich hineinschauen?«, fragte ich, um meine Verlegenheit zu verbergen.
»Für diese Verse bist du zu jung.«
Ich überging den Einwand. Ein Bleistiftstrich zog sich entlang der Zeilen: »Noch hab ich ein Verlangen: oh gönnet mir den Tod, am fernen Meeresstrande, im stillen Abendrot.« Ich schnappte noch Worte auf von kühlem Abendwind, entlaubten Bäumen und bleichem Mondschein über Gräbern, dann klappte ich Eminescu hastig zu.
Ein Stück Papier rutschte zwischen den Buchseiten hervor und fiel auf den Tisch. Es war ein quadratisches Foto mit einem gezackten weißen Rand.
»Schau es dir ruhig an, Junge«, sagte die Lehrerin und reichte mir das Bild.
»Ich bin kein Junge mehr«, trotzte ich zurück. »Sie wollen mit mir über Herrn Hofmann sprechen. Ich bin hier.«
Sie griff zur Flasche, zog den Korken heraus und trank. »Kein Junge mehr! Wir werden ja sehen.«
Ich schwieg und starrte gebannt auf das Foto.
»Wie du feststellen wirst, war ich früher nicht die schlechteste Partie.«
Ich musste im Stillen zugeben, dass die Barbu recht hatte.
Die Fotografie zeigte sie mit einem Mann, der, wie es unter Studierten üblich war, sein dunkles Haar mit Pomade nach hinten gekämmt hatte. Mit offenem Jackett und locker gebundener Krawatte, eine brennende Zigarette im Mundwinkel, grinste er, wie ich fand, schelmisch in die Kamera. Verwegen gar. Zwischen Mittel- und Ringfinger seiner linken Hand schwenkte er lässig ein dickbauchiges Glas, wie es mir aus der Trinkstube meines Großvaters unbekannt war. Seinen rechten Arm hatte der Pomadige fest um Frau Barbulescus Schulter geschlungen, während ihr Gesicht nur von der Seite zu sehen war. Anders als jetzt trug sie langes blondes Haar, d as sie mit einem Tuch zu einem P ferdeschwanz zusammengeknotet hatte. Sie strahlte mit geschlossenen Augen un d spitzte ihre Lippen, Sekunden bruchteile vor dem Kuss auf die Wange des Mannes an ihrer Seite. Wenn ich mich nicht täuschte, trug sie auf dem schwarz-weißen Bild dasselbe Sonnenblumenkleid, mit dem sie nun neben mir auf dem Sofa saß.
»In der Hauptstadt aufgenommen?«, fragte ich mit betonter Gleichgültigkeit.
»Ja. Und ich verrate dir, wer damals auf den Auslöser des
Fotoapparates gedrückt hat.« »Heinrich Hofmann?«
»Richtig, Junge. Ganz richtig. Das war der Hofmann.« »Und dieser Mann auf dem Foto? Ihr Verlobter?«
»Er hatte viele Verlobte.« Die Barbu lachte. Es war ein Lachen, das mich ängstigte. Als Schankbursche waren mir die verschiedensten Arten des Lachens vertraut. Verschmitztes Schmunzeln, hämisches Grinsen, albernes Gejohle. Ich kannte das verschämte Lächeln der Verlegenen, die Lachsalven der Spaßvögel und das Gegröle der Zecher. Ich konnte am Gelächter sogar den Grad der Trunkenheit der Gäste in Großvaters Schankstube bestimmen. Ein Lachen wie das der Barbu jedoch hatte ich nie zuvor gehört. Es befremdete und verwirrte mich. Ich sehnte mich weit weg, zurück zu Großvater Ilja, zurück zu meiner Mutter und zu Tante Antonia, mit denen ich eben noch am Abendbrottisch gesessen, die ich belogen hatte.
»Er ist ein Zauberer.« Barbus Lachen brach unvermittelt ab. »Er kann hexen. Er verwandelt Wein in Wasser und Acker in Wüste. Der Fotograf Hofmann ist seine rechte Hand. Sei wachsam, mein Junge. Hüte dich.«
Bevor ich den Irrsinn dieser Worte begriff, riss sie mir die Fotografie aus den Händen und hielt sie über die brennende Kerze. Blau züngelnd fraß sich die Flamme in das Papier. Als das Feuer die Hälfte des Bildes versengt hatte, blies sie einige Male kräftig darauf. Ascheflocken schwebten durch das Zimmer. Der Mann an ihrer Seite war ausgelöscht. Sie reichte mir den Rest der Fotografie, auf dem ihr Kuss ins Leere ging. »Das ist für dich. Nimm es!«
Ich wehrte mich. »Was soll ich damit?«
»Nimm es! Nimm es zur Erinnerung daran, dass eure Barbu einmal eine Angela Maria Barbulescu war.«
Widerwillig steckte ich das Bild in die
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