Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
Vom Netzwerk:
Schweischtal. Da ist die Luft besser.« Er schloss auf. »Ich lass die Tür offen und den Schlüssel stecken. Wenn du zurückkommst, dreh ihn zweimal rum. Mach nur keinen Krach und weck mich nicht wieder mit deinem Gepolter.«
    Die Laternen auf dem Marktplatz waren erloschen, doch das Mondlicht am wolkenlosen Himmel bot mir genügend Orientierung. Ich blickte um mich. In keinem der Wohnhäuser brannte noch Licht. Selbst da, wo ich die Fenster der Polizeistation vermutete, war alles dunkel. Langsam schlenderte ich an dem Hofmannschen Fotogeschäft vorbei. Ich befürchtete, der Weg zu dem Lichtschacht in dem Hinterhof sei nur über eine Straße oberhalb des Marktes möglich. Zu meiner Erleichterung entdeckte ich jedoch wenige Meter rechts von der Schaufensterfront eine schmale Gasse. Ich brannte ein paar Zündhölzer an und stand vor einer Haustür mit einem Dutzend Namensschildern und Klingelknöpfen. Die Tür war angelehnt, und ich gelangte in einen Hausflur, von dem ein Durchgang in den dunklen Hof führte. Ich lauschte einen Moment, doch alles blieb ruhig. Dann tastete ich mich vor, linker Hand die Hauswand, hinter der ich die Räumlichkeiten von Hofmanns Fotogeschäft vermutete. Ich trat auf einen Metallrost. Darunter lag ein Lichtschacht zu den Kellerräumen. Ich bückte mich, um das Gitter zu entfernen, das sich zwar ein wenig bewegen, aber nicht anheben ließ. Das kurze Aufflackern eines Streichholzes machte mir klar, dass hier ein Einstieg unmöglich war. Der Eisenrost war von unten mit einem Kettenschloss gesichert. Ich drückte mich weiter an der Hauswand entlang, zwei, drei Meter, dann fuhr ich zusammen, weil mein rechter Fuß ins Leere stieß. Ich legte mich auf den Boden, langte mit einem Arm tief in den Schacht hinein und drückte mit der Hand gegen ein Fenster. Es ließ sich nach innen aufstoßen. Ich schätzte die Tiefe des Mauerloches auf höchstens einen Meter. Vorsichtig ließ ich mich hineingleiten und kletterte unter dem schwarzen Tuch hindurch in das Hofmann'sche Labor. Langsam tappte ich bis zur Tür und erfühlte den Schalter oberhalb der Zarge. Es wurde hell. Auf dem Schneidetisch lagen eine Schere und die Reste des Fotopapiers, auf das Irina meine und Großvaters Ausweisbilder belichtet hatte. Ich öffnete die Labortür, stand im Kellerflur und knipste die Deckenbeleuchtung an. Heinrich Hofmanns Allerheiligstes, das Archiv mit den Negativen, befinde sich nebenan, hatte Irina Lupescu erwähnt. Ich entdeckte die Eisentür sofort, drückte die Klinke herunter und zog. Nichts. Ich warf mich mit aller Wucht gegen die Tür, zerrte und riss an der schweren Klinke, bis kein Zweifel mehr bestand: Ohne passenden Schüssel würde ich das Archiv niemals betreten. Ich ärgerte mich maßlos. Das hätte ich mir vorher überlegen können. Wenn die Negative und Bilder, die ich zu finden hoffte, tatsächlich hinter dieser Tür verborgen waren, dann besaß allein Heinrich Hofmann dazu einen Zugang. Dass der Schlüssel irgendwo sichtbar an einem Haken hängen würde, schloss ich aus.
    Ich war blind in meinen Kreuzzug gerannt. Wie hatte ich glauben können, meine Gegner würden die elementaren Regeln ihres bösartigen Spiels außer Acht lassen? Die Heimlichkeit und die Vorsicht. Was mir zu durchstöbern blieb, waren die ungezählten Pappschachteln, die sich in den schiefen Regalen bis an die Decke des Kellerflurs stapelten. Willkürlich zog ich einen Karton hervor. »HZ Codarcea, Kronauburg 17.5.56« war mit einem dicken schwarzen Stift auf den Deckel geschrieben. Ich öffnete die Schachtel. Darin lagen Hochzeitsbilder.Auch aus »HZ Gherghel, Kronauburg 29.5.1956« kam ein Hochzeitspaar zum Vorschein, ein pickeigesichtiger Bräutigam und eine Braut, die man für seine Mutter halten konnte. In der Schachtel »HZ I1iescu, Kronauburg 4.10.1955« hatte ein älteres Ehepaar offenbar anlässlich seiner goldenen Hochzeit in die Kamera geschaut. Unter »HZ Schweischtal, Georgescu-Buzau, 28+57« blieb dem Betrachter nicht verborgen, dass sich ein arg junger Ehemann ein gequältes Lächeln abrang, während sich das Kleid seiner Angetrauten über ihrem Bauch spannte.
    Ich räumte ganze Stapel von Kartons ab, um wenigstens mit Stichproben in einige der untersten Schachteln zu schauen, in die wahrscheinlich seit den vierziger Jahren niemand mehr einen Blick geworfen hatte. Doch nichts. Ich fand nur Ehegatten, die frontal in die Linse blickten, während die Bräute vorzugsweise im Profil zu ihrem Angetrauten hinaufschauten.

Weitere Kostenlose Bücher