Wie die Madonna auf den Mond kam
hast du eine Ahnung, wie teuer so ein Hotel ist? Das ist nichts für Leute wie uns.«
»Am Markt habe ich den Goldenen Stern gesehen. Sah richtig gut aus. Warum erkundigen wir uns nicht nach den Preisen für eine Übernachtung? Ganz unverbindlich. Außerdem können wir da essen. Die haben ein echtes Restaurant. Mir knurrt allmählich der Magen. Und Geld haben wir auch gespart. Die Bilder brauchten wir nicht zu bezahlen, und wenn bald der Postbote mit deinem ersten Gehalt von der HO kommt, sind wir raus aus dem Schneider.«
Opa überlegte. Natürlich hätten uns auch die Verwandten seiner verstorbenen Frau, meiner Großmutter Agneta, ein Quartier bereitet, wie stets, wenn wir über Nacht in Kronauburg bleiben mussten. Aber Großvater war nach Ruhe und nicht nach Gesprächen mit der Verwandtschaft. Zudem war er ebenfalls hungrig. »Gut. Gehen wir zurück in die Stadt. Fragen kostet nichts.«
Die Preise im Goldenen Stern, in dem zu royalistischer Zeit sogar König Carol genächtigt hatte, waren hoch, aber weitaus niedriger, als von Großvater befürchtet. Nach der Überführung des Hotels in Staatseigentum verzichtete man zwar nicht darauf, mit dem Regentenbesuch von einst Reklame zu machen, aber die Tarife für die Zimmer der Kategorie Standard waren drastisch gesenkt worden. An der Rezeption, wo man seinen alten Ausweis problemlos akzeptierte, zahlte Großvater für ein Doppelzimmer.
Das Zimmer mit bunter Blumenmustertapete war klein, aber penibel reinlich. Das Bett war frisch bezogen und verströmte einen Duft, der mir fremd war. »Lavendel«, meinte I1ja anerkennend und zeigte auf die Kopfkissen, auf denen zwei winzige Täfelchen Schokolade lagen. Im Bad gab es eine weiß emaillierte Badewanne mit zwei Wasserhähnen, die Opa sofort ausprobierte. Heiß und kalt. Sie funktionierten einwandfrei. An einer blitzblanken Metallstange hingen zwei Badelaken, während sich die Handtücher sauber gefaltet auf einer Ablage stapelten.
»Guck dir das an.« Großvater strahlte wie ein Kind. Er hielt zwei Stückchen Seife in Goldfolie in den Händen. »Die echte Luxor. Eine benutzen wir, die andere nehmen wir mit. Die Raducanu-Zicke wird Bauklötze staunen, wenn sie wieder nach ihrer feinen Seife fragt.«
Wir erfrischten uns und nahmen, weil uns der Aufzug nicht geheuer war, die Treppe zum ersten Stock. Wir stießen die Flügeltür mit der Aufsch rift »Restaurant « auf, nicht ahnend, welch heftiger Angriff auf die Sinnesorgane sich dahinter auftat. Die Wände waren in einem schrillen Orange gestrichen und konkurrierten in krassem Kontrast mit dem blauen Teppichboden.
»Wünschen die Herren einen Platz am Fenster?« Der Ober war aus dem Nirgendwo aufgetaucht. Er trug einen schwarzen Frack, und über seinem linken Unterarm hing locker ein weißes Tuch. Mir kam sofort in den Sinn, was meine Lehrerin immer über das Paris des Ostens erzählt hatte. Was die Errungenschaften der zivilisierten Kultur anging, da konnte sich Kronauburg sicher nicht mit der Hauptstadt messen, doch für einen Vorgeschmack langte es allemal.
»Fenster wäre nicht schlecht«, antwortete ich und beobachtete mich selbst, wie ich die Schultern zurückzog und das Kinn ein wenig vorstreckte. Wie auf meinem neuen Passbild. »Wenn die Herren mir bitte folgen möchten.«
Ich ließ mir von dem Kellner einen Stuhl zurechtrücken, als Großvater längst Platz genommen hatte. Während wir den Tisch mit der gestärkten weißen Decke in Augenschein nahmen, auf der diverse Teller, Gläser und Schälchen in feinster Manier bereitstanden, versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich beeindruckt war. Als Schankbursche war mir das gastronomische Metier natürlich nicht fremd, aber wie hier Messer und Gabeln, große und kleine Löffel millimetergenau an der Seite neben zu Pyramiden aufgetürmten Tuchservietten drapiert waren, das war nicht ohne. Sogar ein Strauß roter Rosen stand in einer Vase mitten auf dem Tisch.
Ilja erhob keinen Einwand, als ich eine Schachtel Zigaretten hervorzog. Sofort trat der Kellner hinzu und reichte mir Feuer.
»Was habt ihr zu essen? «, fragte Großvater.
»Die Herren wünschen die Menükarte. Sofort!«
»Bitte gern«, gab ich zurück, bevor Opa irgendwelche peinlichen Einwände erheben konnte, die unsere Herkunft verrieten. Im Nu stand der Ober wieder vor uns und reichte uns die aufgeklappte Speisekarte. Dann wartete er auf die Bestellung. Der Kerl machte mich nervös.
»Wir brauchen etwas Zeit.« Ich setzte wieder meinen
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