Wie die Madonna auf den Mond kam
Ansonsten Brauteltern, Brautjungfern mit Blumensträußen, Kinder mit Blütenkörbchen, große und kleine Hochzeitsgesellschaften und ab und an ein Festbüfett oder Szenen des Brauttanzes. Dazwischen immer wieder Ehrungen und Auszeichnungen verdienter Genossen und Helden der Arbeit.
Nach zwei Stunden hatte ich lediglich die Erkenntnis gewonnen, dass Heinrich Hofmann seine Assistentinnen zu penibler Ordnung anhielt, alle Pappkartons mit Namen, Ort und Datum zu beschriften. Selbst, wenn ich bis zum nächsten Abend weitergesucht hätte, hier in diesem Flur war kein Hinweis darauf zu finden, dass die Komplizen Hofmann und Ste phanescu mit höchst brisanten Fotos Menschen zum Schweigen brachten. Oder zum Reden. Oder zu was auch immer.
»Ich lasse mich gegen Salär fotografieren«, stand in Angela Barbulescus Tagebuch geschrieben. Ihre einstige Freundin Alexa hatte damals in der Hauptstadt durchblicken lassen, manche Männer würden viel Geld bezahlen, um solche Bilder zu sehen. Und manche noch mehr, damit niemand sie zu sehen bekam. Alexa ließ sich, wie Stephanescu das nannte, »zwischen die Beine blitzen«. Irgendwelche Fotos dieser Art existierten auch von Angela. All die Jahre in Baia Luna hatte sie schreckliche Angst gehabt, diese Bilder könnten dem Priester Johannes Baptiste zugespielt werden. All die Jahre hatte die Furcht sie verstummen lassen. Heinrich Hofmann hatte diese Fotos geschossen, in der Praxis eines Arztes, der ihr das Kind aus dem Bauch geholt hatte. Was auch immer das für Fotos sein mochten, freiwillig hatte meine ehemalige Lehrerin sich nicht ablichten lassen. Man hatte etwas mit ihr gemacht, was sie nicht wollte.
Ich hockte mich auf einen Kanister mit verbrauchter Laborchemie. Ich hatte in diesem Flur Spuren hinterlassen. Zu viele Spuren. Spätestens morgen früh würde Irina Lupescu den Einbruch bemerken. Entmutigt steckte ich mir eine Carpati an. Ich stellte mir vor, oben im Laden würden in diesem Augenblick die Türglöckchen bimmeln, Irina würde mit ihren klackenden Absätzen die Treppe heruntersteigen. Mein Freund Pavel, würde sie lächelnd sagen, hier ist der Schlüssel zu den Negativen. Jetzt kriegt dieser Hofmann endlich, was er verdient. Und dieses Miststück Stephanescu auch. Meine Verlobung habe ich gelöst. Dieser Lupu kann mir gestohlen bleiben. Wir machen diese Verbrecher fertig.
Ich dachte an Buba, was sie jetzt sagen, was ihr anderer Blick jetzt sehen würde, und stellte nur fest, dass sie mir fern war. Ich schloss die Augen. Ich sah Fritz Hofmann. Aber nicht in Deutschland. Ich sah ihn irgendwo auf der Welt. Unterwegs, rastlos und ruhelos, immer auf der Suche. Und immer schaute Fritz durch einen Fotoapparat. Wie sein Vater. Als ich die Augen wieder aufschlug, erblickte ich den Karton.
Zwischen zerbrochenen Bilderrahmen, die sich achtlos in der Ecke stapelten, schien die braune Pappe durch. Ich trat die Zigarette aus und räumte die Rahmen zur Seite. Eindeutig, es war einer der Kartons, die Heinrich Hofmann mit dem Motorrad bei seinem Umzug von Baia Luna nach Kronauburg transportiert hatte. Ich zog die Kiste aus der Ecke. Sie war schwer.
Gut getarnt zwischen alten Hochzeitsfotos hatte Fritz Hofmann einst das Bild von der Weihnachtsfeier 1948 entdeckt, auf dem Alexa, in dem Sonnenblumenkleid ihrer Freundin Angela, die Schenkel spreizte und Stephanescu eine Flasche Sekt verspritzte. Ich kippte den Karton aus und stand vor einem Berg von Schwarz-Weiß-Fotografien ohne jede Ordnung. Dazwischen lagen ein Dutzend angegilbter Papierumschläge. Ich wühlte mich durch Hochzeiten, Hochzeiten und nochmals Hochzeiten, die vermutlich alle aus den frühen Nachkriegsjahren datierten. Dann nahm ich mir die Umschläge vor. Auf manchen standen die Jahresangaben 1946 und 1947. Die Aufnahmen waren wahrscheinlich alle in der Hauptstadt entstanden. Unverfängliche Bilder, im Sommer aufgenommen, mit jungen Leuten. Nach meiner Einschätzung waren es Studenten. Sie bummelten mit ihrer Freundin durch die Stadt, saßen händchenhaltend auf Parkbänken und in Straßencafés, poussierten vor der Statue des Dichters Mihail Eminescu und schnitten alberne Grimassen. In einigen Umschlägen steckten Fotos, die Heinrich Hofmann bei nächtlichen Feiern gemacht hatte. Es wurde viel gelacht und noch mehr getrunken. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die Männer ihr Haar mit Pomade nach hinten gekämmt, hielten ihre Mädchen im Arm und grinsten in die Kamera. Angela Barbulescu war auf keinem der Bilder zu sehen,
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