Wie die Madonna auf den Mond kam
der Brille und zwei Unbekannte sich ihre Steifen rubbelten.
Als ich die Fotos der Heiligen Nacht 1948 wieder in den Umschlag steckte, fühlten meine Finger, dass in dem Papier noch ein schmaleres Kuvert eingeklebt war. Ich riss es auf, ballte die Fäuste mit einem kurzen Aufschrei und jubelte innerlich. Heinrich Hofmann hatte die Regel der Vorsicht außer Acht gelassen. Er hatte sein Heiligstes nicht geschützt. Was ich gegen die Deckenlampe hielt, waren die Negative. Obwohl darauf mit dem bloßen Auge wenig zu erkennen war, so zeichneten sich doch zwei Frauenschenkel auf etwas Tiefschwarzem ab. Auf einem Positiv, das wusste ich, würde daraus eine weiße Tischdecke. Und die dunklen Sprenkler über Alexas Scham zeugten von der Lichtspur des Schaumweins, der aus der kräftig geschüttelten Flasche gespritzt war.
»Macht mit meinen Bildern, was ihr wollt.«
Irgendwelche widerwärtigen Fotos hatte Heinrich Hofmann auch von Angela Barbulescu gemacht. Gegen ihren Willen. Was auch immer darauf zu sehen war, sie spielten in dem Spiel aus Drohung, Erpressung und Mord keine Rolle mehr, ein böses Spiel, dessen düstere Regeln ich mehr erahnte, als durchschaute. Egal, wo diese Bilder jetzt lagen - wahrscheinlich hinter der verschlossenen Eisentür des Hofmann'schen Archivs -, mit Angelas Tod hatten sie alle Macht verloren. Aber das Foto, das unter meiner Matratze lag und dessen Negativ ich nun unter meinen Pullover steckte, besaß diese Macht noch.
»Hängt sie von mir aus an jeden Laternenpfahl.«
Ich musste den Spieß der Bedrohung nur umdrehen. Sein Bild an jedem Lampenmast würde dem Sektspritzer und Kronauburger Parteichef Dr. Stefan Stephanescu nicht gefallen.
Dumpf tönte die Glocke des Paulusdomes in den Keller. Ich war nicht sicher, ob ich vier oder fünf Schläge gezählt hatte. In jedem Fall drängte die Zeit. Schnell warf ich den Berg an Hochzeitsbildern in den Karton zurück. Als ich nichts mehr zu entdecken erwartete, wurde ich abermals fündig. Unscheinbar, nur mit einem Gummibändchen zusammengehalten, sah ich jene Aufnahmen, für die Fritz nur die Bezeichnung »hammerhart« gehabt hatte. Es waren Bilder, die ungeschminkt alles zeigten. Sie mussten neueren Datums sein. Ich erkannte eine der Hofmann'schen Angestellten, die gestern noch oben im Laden das junge Brautpaar beraten hatte. Ihre blondlockige Haarpracht stach sofort ins Auge. Mich verwirrte ein Gefühlsschwindel aus Abscheu, Faszination und mächtiger Erregung. Es gab zwei, drei verschiedene Frauen, die sich vom Typ her recht ähnlich waren und die ich nie zuvor gesehen hatte. Ebenso wenig wie die Männer. Bei einigen Bildern war Herr Hofmann den Frauen mit seinem Fotoapparat fast in den Schoß gekrochen, andere Szenen hingegen waren eher aus einer größeren Entfernung aufgenommen. Ich beeilte mich bei der Durchsicht. Wieder tauchte die Schöne mit dem Engelshaar auf. Sie war unbekleidet und beugte sich über einen älteren Herrn, der mit offenem Hosenschlitz auf einem Bett lag. Sie benutzte ihren Mund. Ich kannte diesen Mann. Ich war mir hundertprozentig sicher, ihn schon gesehen zu haben. Nur wo? Um so angestrengter ich nachdachte, desto mehr verkroch sich das Bild in den hintersten Kammern meiner Erinnerung. Dafür war die Gegenwart umso präsenter. Als ich den Hintergrund der indiskreten Fotografie sah, wusste ich, wo dieses Bild entstanden war. Ein solches Blumenmuster hatten die Tapeten in den Zimmern im Goldenen Stern.
Ich musste zurück. Ich verstaute die Pappkiste wieder hinter den alten Bilderrahmen, schaffte etwas Ordnung in dem Kellerflur, wissend, dass mein heimlicher Besuch nicht unentdeckt bleiben würde. Als ich durch das Labor wieder durch den Schacht nach draußen klettern wollte, bemerkte ich, dass der Druck meines prallen Geschlechts nicht nachgelassen hatte. Ich verspürte den Drang, mich zu erleichtern.
Ich knöpfte meine Hose auf und dachte an Irina Lupescu, die ich unter aIl den Damen, die sich ablichten ließen, nicht entdeckt hatte. Dann wurde mir klar, dass ich die Assistentin Heinrich Hofmanns und Verlobte des Sekuristen Lupu Raducanu in eine unangenehme, wenn nicht fatale Lage gebracht hatte. Sie trug die Verantwortung für das Labor im Keller. Ich ließ von mir ab, knöpfte die Hose wieder zu und kroch ins Freie.
Fünf Minuten später öffnete ich die Hoteltür. Der Pförtner schlief. Die Uhr über der Rezeption zeigte Viertel nach fünf. Ohne jemandem zu begegnen, gelangte ich in unser Zimmer. Großvater schlief.
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